BARON von FEDER: Auf Relevanz zu prüfende ZeitbeobACHTUNGen

Erstens Inflation
Wie selbstverständlich sprechen Menschen von Inflation, ohne eine solche wie in der Zeit der Weimarer Republik selbst erlebt zu haben. Dementsprechend naiv klingen Leute, die zu wenig wissen. Die zu viel gelesen haben, sind eher skeptisch, denn sie sehen Parallelen. Und daher fühlen sich auch Skeptiker von einer unbestimmten Angst gepackt. Aber vorstellen können sie sich die 20er-Jahre-Inflation als konkrete Auswirkung auf ihr Leben auch nicht. Diejenigen aber, die es auf Grund ihres Alters oder ihrer Erinnerungen könnten, scheinen zu schweigen. Jedenfalls höre md sehe ich sie nicht. Und dann kam die Kaufhalle und verkündet mit unangemessener Flapsigkeit: Gegen Inflation frieren wir die gestiegenen Preise ein. Jedenfalls für Kunden mit Deutschland-Card. Alle anderen zahlen den Inflationszuschlag.
Aber was ist bei Tauwetter? Wie hoch steigt der Preispegel, wenn der eingefrorene Betrag wieder frei ist? Was für eine Flutwelle kann da entstehen?

Zweitens Pazifisten Krieg
Kriegsbegeisterte Pazifisten nennen Bestandspazifisten Kriegstreiber. Angehörige der früher ausdrücklich friedensbewegt und gewaltfreie gestimmten Partei “Die Grünen” empfinden im Zusammenhang mit dem Russisch-Ukrainischen Krieg und den Amerikanisch-Europäisch gebundenen hellwachen Beobachtern die Gewaltfrei als Verantwortungslos und den Waffeneinsatz als Friedensverantwortung. Sie benutzen dabei Sprachregelungen aus der Münchner Sicherheitskonferenz, aus den verteidigungspolitischen Richtlinien der NATO und aus dem Weißbuch der Bundeswehr von 2016 . Nicht aufgezählte Quellen fühlen sich bitte ausdrücklich mit gemeint.

Drittens Sprachgebrauch
Wer sich gestern noch über die die sprachliche Unsitte der Benutzung künstlicher Verschlusslaute als Ausspracheform einer ebenso unsinnigen Schreibweise von grammatikalisch männlichem und weiblichen Geschlecht mokierte, benutzt diesen Unsinn plötzlich über Nacht als wäre der Gender-Quatsch schon immer die Hochform des sprachlichen Ausdrucks gewesen. Die sich mokierten, weisen nun Leute zurecht, die diese Form nicht benutzen. Sogar in Nachrichten oder und Printmedien wird die Sprachvielfalt auf den Ausdrucksmangel des Genderns reduziert. Nicht einmal die Forscher werden verschont, die sich als Linguisten mit den seltsamen Formen des Ausdruckes der Sprache im Prokrustesbett befassen. Die Forscher werden zu Forschenden mutiert. Ganz schön forsches Vorgehen.

Ob Journalismus-Studenten heute im Volontariat gelernt werden, dass nur gut gegenderte Texte guter Stil sind?

Viertens Allgemeinwissen
Neulich musste ich mal etwas nachlesen über Erdgeschichte. Und da gabs mal eine schöne Zeittafel der Entwicklungsphasen, die aufsteigend hießen Kambrium, Ordovizium, Silur, Devon, Karbon und Perm. Den Rest spar ich kurz, denn nicht mal diesen Zeitstrahl und seine Unterabteilungen fand ich wieder. Stillschweigend hießen sie alle anderes. Die meisten waren nach irgendwelchen unbekannten modernen amerikanischen Forschern benannt. Das gleiche geschah mit den Kontinenten. USA ist ein eigenständiger amerikanischer Kontinent geworden, dazu gibt es zwei weitere, und die Einteilung von Lateinamerika und Mittelamerika stimmt auch nicht mehr.

Bewahret das Wissen, bevor es sprachpolitisch verloren geht.

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REDAKTIONSMITTEILUNGEN: Hier ist das Flugblatt für Juni 2022

Liebe Leserinnen , liebe Leser, ein kurzer Krankenhausaufenthalt hat mich aus den letzten Arbeiten am Flugblatt heraus gerissen. Aber jetzt, am 4. Juni statt am 1., ist es fertig und ich verbreite es. Ich hoffe, diesmal funktionieren alle Links – sowohl zum herunter laden als auch zum Blättern zwischen den Seiten. Immerhin hatte ich Ruhe genug im Krankenhaus, um an einem der nächsten Essays formulierend tätig zu werden. Freuen Sie sich bitte schon auf die essayistische Erzählung “Das Friedensfrühstück”, das ich entweder bis 1. August oder 1. September fertig zu stellen gedenke. Was berichtet das Flugblatt im Juni? Es geht nochmal um das Russlands-Fahnen-Siegerfoto auf dem Reichstag damals 1945 und ein paar Dinge um das Kapitulationsmuseum Karlshorst. Baron von Feder hat ein Stellenangebot vom Arbeitsamt als Reis-Enden-Lenker bekommen und träumt seitdem von vietnamesischen Reisfeldern. Bis er dann herausfand, was für ein Job sich tatsächlich hinter dem Begriff verbirgt. Er fasste sich an den Kopf und ließ die Hand da, so dass er seitdem nichts mehr schreiben konnte. Ein Friedensgedicht außer der Reihe ist noch entstanden. Schauen Sie mal:

Generale, Pazifisten,
Demokraten, Anarchisten,
Reiche und sozial Versehrte,
Arme und Moral-Bekehrte,
Gläubige und die, die nicht,
sind alle Teil von der Geschicht,
die von jedem nur verlangt,
dass keiner mit dem Nächsten Zankt

Seitdem schweigt der Baron. Er braucht etwas Ruhe. Jetzt bekommen Sie erstmal das Flugblatt mit Downloadlink auf der Webseite. Danach kommt der obligatorische Newsletter. Wer ihn nicht hat, aber möchte, braucht sich nur einzutragen. Den Button dazu finden Sie als geübte Internetnutzer schneller als ich Ihnen erklären kann, wo der steht. Ja, ich auto mich: Mir fällt die Technik nicht so leicht wie sie sollte. Aber man sieht, ich streng mich an. Viel Spaß beim Lesen

Hannes Nagel

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BARON VON FEDER: Bahnlogistik sucht Reis-Enden-Lenker

Bahn-Logistik sucht Reis-Enden-Lenker

Jetzt ist es soweit. Die Chinesen kommen. In Neustrelitz werden Reis-Enden-Lenker gesucht. Offenbar wird die Landwirtschaft auf Reisanbau umgestellt und die Ernährung sowieso gleich mit. Mit umfassenden Kampagnen wird die Bereitschaft der Bevölkerung erzeugt und von geschulten Kadern durchgesetzt. Der Bahnhof Neustrelitz ist von der Erhellten Führung zum Vorbild – Point erkoren worden. “Freiwillige vor”, heißt die jungdynamische revolutionäre Mission; “Werde auch Du Reis-Enden-Lenker”, wirbt die Bahn in einer Stellenausschreibung von ihrem zuständigen Dienststandort Berlin und spricht alle Bewerber mit DU an. Sogar seriöse Herren, die zwar “gepflegtes Äußeres”, “freundliches Auftreten” und gute Umfangsformen” haben, aber selber Hilfe benötigen würden, wenn sie den Reis-Enden helfen sollen, die bereit gestellten Transportgelegenheiten zu besteigen. Besonders die Vorgänge im Zusammenhang mit dem Treppauf und dem Treppab beim Umsteigen könnten beschwerlich sein. Immerhin passt es zu den geforderten Umfangsformen, wenn das Profilbild abgerundet sein soll. Schön, endlich mal keine Adipositas-Diskriminierung. Hä? Ach nee. Das muss ja ganz anders heißen. Fahrgast-Lenkung wäre richtig. Der hat doch wieder der Gender-Teufel einen sonst – vom Du abgesehen – ganz guten Text auf das Gebiet des Unverständliche geschoben. Oder wie die Bahn sagt: “Rangiert”. Ja schiet ok, wenn der Hang zu G-Enderung aus Reisenden Reis-Enden macht. Nun ist nix mehr mit China in Neustrelitz. Am Bahnhofs-Döner wird es auch weiterhin keine Peking-Enten geben. “Halleluja”, schnattern die erleichterten Enten einschließlich der besonders betroffenen Mandarin – Enten zwischen Glambecker See, Käbelick-See, Zierker See und Woblitz.

Aber wenn ich mir den Rest des Stellenangebotes anschaue: Ich glaube, ich bewerbe mich mal. Gleich nachdem ich diesen Text veröffentlicht haben werde (Gute Deutschkenntnisse setzt der Arbeitgeber voraus). Klar werd ich das mal probieren. Auch ohne Chinesen.

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Monsieur Miezerich: Der Juni steht vor der Tür

„Halbjahr“

Liebe Leserinnen, liebe Leser, im Juni sind die Jahre traditionell halb um. Wer jetzt nicht unterhalb seiner Jahresvorsätze liegt, hat gute Chancen, sie erfolgreich beenden zu können. Wer aber im Rückstand ist, der holt ihn nicht mehr auf. Cheffchen sagt, er ist seinen Plänen zum Teil weit voraus, und gleichzeitig hinkt er hoffnungsvoll und chancenlos hinterher. Aber wer will sich schon künstlich unter Zeitdruck setzen? Ich jedenfalls nicht. Und Ihr so? Ich freu mich , dass Cheffchen mir zum Halbjahr für Online meine Sicht der Tagesbemerkungen als Katze eingerichtet hat. Danke, Cheffchen. Immerhin: auch wenn die Chancen auf Erhalt von Mitteln für das Notwendige gering sind: Cheffchen hat gerade eine Mikrowelle für die Essenszubereitung bekommen. Cheffchen sagt: Prima Geschenk „Als erste shab ich mir drei kleine Kartoffeln gegrillt.“ Für den Kindertag am 1. Juni hatter sich vier Mikrowellengerichte erarbeitet. Er ist manchmal ein bisschen wie ein Kind. Aber sind wir nicht alle Kinder – Kinder des Schöpfers? Wir alle, die wir die Kinder des Schöpfers sind, haben eigentlich nur den Wunsch nach Geborgenheit. Geborgenheit kann für jeden anderes aussehen, hat aber insgesamt auf alle die gleiche friedliche Wirkung. Wir Katzen fühlen uns manchmal bei Menschen geborgen, die sich geborgen fühlen, weil wir uns bei ihnen geborgen fühlen. Ich glaub manchmal sogar, Geborgenheit ist der Zustand, wo man nichts zu verlieren hat, aber Sein darf. “Hier bin ich Katz, hier darf ich sein”, dichtete Euer Goethe extra für uns. So ein netter Kerl. Ob der mit Katzen besser konnte als mit manchen Menschen? Was würde Goethe sagen, wenn er von der Verbissenheit erführe, mit der alles, womit ein Ende des Krieges begründet wird, immer auch als Mittel gesehen wird, ihn zu verlängern? Waffen liefern zum Beispiel. Tschüss erstmal, ich geh ne Runde schnurren, das beruhigt.

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TAGESBEMERKUNGEN: 23. Mai. 2022: Verfassungstag

Wer schreibt, der bleibt. Aber auch das Geschriebene bleibt. Es gibt Geschriebenes, welches noch lange bleiben sollte. Manches sollte möglichst ewig bleiben.

Vor 73 wurde das letzte Satzzeichen eines ganz speziellen Textes auf ganz spezielles Papier geschrieben. Handgeschöpftes Büttenpapier war es. Dieses Papier stellte die Papierfabrik Renker her. Solches tut sie, sooft sie es tut, noch heute. Sie tut dies in Zerkall. Zerkall ist ein Ort in Nordrhein-Westfalen, im Kreis Düren, in der Gemeinde Hürtgenwald. Handgeschöpftes Büttenpapier gilt als fälschungssicher und tintenecht. Es ist damit Grund genug für einen Text wie das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Ein Wort, das soll man lassen stahn und möglichst keine Hand anlegen an einschränkende Bearbeitungen.

Denn wenn es nicht beeinträchtigt wird, ist das Grundgesetz eine brauchbare Regelung für den Umgang der Gesellschaft mit allen ihren Mitgliedern. In Verbindung mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch, der Straßenverkehrsordnung sowie mit Bildung und Kultur bietet das Grundgesetz eine Basis für das Zusammenleben unterschiedlicher Einkommensschichten.

Büttenpapier ist bewahrendes Papier. Aber es kann sich nicht zusammenrollen und auf Finger trommeln, deren Hände sich an den Grundrechten und der Menschenwürde vergreifen. Grundrechte sind das Recht auf Leben, Wohnung, Arbeit, Gesundheit, freie Berufswahl, freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, freie Meinungsäußerung, Gewissensfreiheit, Religionsfreiheit, Bewahrung des Friedens durch Ablehnung des Waffendienstes, Vertrauen auf Post-und Fernmeldegeheimnis sowie Unverletzlichkeit der Wohnung.

Im Ganzen sind es 19 Grundrechte. Sie zu schützen und zu wahren ist oberste Pflicht von allen staatlichen Organen. Nur wer die Grundrechte zum Nachteil anderer verletzt – Menschenwürde durch Hartz Vier zählt aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht dazu – kann seine eigenen Grundrechte oder Teile davon verlieren.

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TAGESBEMERKUNGEN: Preistrick in Kaufhalle

(Glosse) Als Corona war, haben alle alle Presseigerungen auf Corona geschoben. Seit sich Russland und die Ukraine im Krieg befinden, wird der Krieg als Grund für gestiegene Preise herangezogen. Auch für die Warenknappheit. Waren, die nie aus der Ukraine auf deutschen Märkten ankamen, sind jetzt knapp auf deutschen Märkten, und darum müssen für den Rest höhere Preise bezahlt werden. Denn der dümmste Spruch der Betriebswirtschaft heißt: Angebot und Nachfrage regeln den Preis. Dieser Spruch hat schon immer heftig zuckende rammende Bewegungen des Digitus an an Limbus temporalis verursacht. Wenn Ware knapp wird oder zum Zwecke der nacheilenden Preissteigerung knapp gehalten wird, klettern die Preise, aber sie klettern nur wegen der Gier der Profiteure.
Inzwischen ist die Ausrede von Angebot und Nachfrage ausgelutscht. Einigermaßen ehrlich klang neulich: Die gute Selter gibt’s nicht mehr, weil die jetzige billiger im Einkauf ist. Und daher wird sie teurer als die Gute verkauft. Wobei zu sagen ist: Die Gute Selter hatte eine wirklich erfrischende Konzentration von Prickelkohlensäure. Die jetzige schmeckt fade als habe die Falsche bei geöffnetem Verschluss längere Zeit in der Mittagshitze zugebracht. Der Zweck des Handels ist aber nicht der Profit der Händler, sondern das Wohl der Kunden.
Heute nun haben sie ein billiges Preisschild vor den Käse gepappt, und dann dazu gesagt, das bezöge sich auf das Gewicht. Das war rückseitig ach längerem Suchen durch die Kassiererin tatsächlich zu finden. In de Schlange der ehrbaren Kunden begann ein Kopfschütteln über die Dreistigkeit, einen höheren Preis aufzudrücken. Zwischen 1,29 und 1,99 kann durchaus ein Unterschied mit kaufabschlussausschließender Wirkung bestehen.
Nun liegt der Käse an der Kasse. Es war Tilsiter, der mit dem ehrlichen Duft. Hab ich mir eben ne Stulle mit Gurke belegt.

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BARON VON FEDER: Menschen wollen wieder lernen

BARON VON FEDER

„Menschen wollen wieder lernen“

Eigentlich müsste ich in der Lage sein, mir niemals die Sprache versiegen zu lassen. Denn lesen, Schreiben, Denken sowie das mündliche Artikulieren des zuvor schon Geschriebenen ist meine Aufgabe. Meine Aufgabe ist der Umgang mit Worten. Der Umgang mit Worten ist die Aufgabe von Schriftstellern, Dichtern, Journalisten, Musikern und Philosophen und Historikern. Wenn es einem von diesen die Sprache verschlägt, ähnelt er einem Kommissar, der nicht kombinieren kann, oder einem Ingenieur, der eine völlig neue Situation im Studium noch nicht hatte, oder einem Arzt, der kein Blut sehen kann.

Blut fließt zur Zeit in Strömen, und über die reißenden Flüsse des Blutes muss es wundenstillende Worte geben. Jedes Blut wird sinnlos vergossen. Der Sinn des Blutes ist es, durch die Kreisläufe in den Körpern den Lebewesen zu fließen, Nährstoffe zu transportieren, Zellen mit Sauerstoff zu versorgen, und allen Organen ein friedliches Miteinander zu bescheren.

Das Schwierige an den Worten ist das Erreichen von Ohren, Hirnen und Herzen. Es fällt auf, dass manipulierende Worte fast immer freien unangefochtenen Zugang haben. Aufklärende Worte aber dringen nicht durch. BILD erreicht mehr Köpfe als Immanuel Kant. Aber Kant ist unendlich klüger. Dieser Größenunterschied lässt sich auch auf das Verhältnis von Kabarettisten wie Christian Ehring von Extra 3 oder Sarah Bosetti anwenden. Sie können was, sie erreichen viele, aber an die Klugheit von Kant reichen sie nicht heran. Bleibt die Frage: Wie könnte Aufklärung in die Hirne kommen, ohne methodisch mit Manipulation verwechselt zu werden?

Falls man sagen kann, dass die „Spassgesellschaft“ die Menschen vom Denken abgebracht hat, dann lernen sie es jetzt wieder. Das möchte ich gerne mit einem Menschen vergleichen, der nach einem Unfall oder einer Krankheit wieder neu Gehen lernt. Vielleicht befindet sich die Gesellschaft am Beginn einer REHA-Maßnahme nach oder trotz einer traumatischen geistigen Kleinhaltung. Zuenehmend wurde ab 1990 den Menschen das Bedürfnis abgenommen, sich nicht mit Dingen zu befassen, die sie nicht verstehen sollten. Wer allein hat einen Vorteil aus der Empfindung, dass die Regierenden machen, was sie wollen, und „wir kleinen Leute“ richten dagegen gar nichts aus? Versuch macht klug.

Heutzutage braucht man den Untertanen nicht mehr zu untersagen, den Maßstab ihrer beschränkten Einsichten an das Handeln der Obrigkeit anzulegen. Lange genug taten sie es von sich aus . Das hat die Spassgesellschaft angerichtet., die Käufer von Erzeugnissen der Wirtschaft als Verbraucher geringschätzen, statt sie als fachlich anspruchsvolle Nutzer zu achten.

Und nun lernen wir wieder. Und werden immer MER – Mit Erfahrung Reif.

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ONKEL JULES VERNEUM: Sylvicultura Oeconomica

ONKEL JULES VERNEUM

„Wieder-Entdeckung vergessenen Wissens“

Als 1990 die Wiedervereinigung von DDR und BRD anstanden, gab es Menschen mit schnelllebigen Geschäftsideen und welche, bei denen die Ideen langsam wuchsen wie ein Wald. Weshalb es dann wohl auch lange dauerte, bis im Osten der Wunsch aufkam, „ehemalige Tuppenübungsplätze aufzuforsten”. Truppenübungsplätze wurden aus Aufforstungsüberlegungen nach kurzer Erwägung von Kosten und Nutzen wieder ausgeklammert. Von Ausnahmen abgesehen, siegte der Weiternutzungsaspekt aus Sicherheitsgründen. Denn wie man seit der mehr oder weniger verdeckten Beteiligung der NATO am Krieg zwischen Russland und der Ukraine sieht, kann man nicht genau wissen, ob und wozu man noch mal ehemalige militärische Infrastrukturen braucht. Bei ehemaligen Braunkohletagebauen sieht die Sache einfacher aus. Diese Flächen spielten im Gesamtprofitkonzept des übernehmenden Teils der Vereinigungspartner keine Rolle. Hier konnten sich dann Forstbetriebe und Umweltschutzingenieure ausprobieren und als Bestandteil der Renaturierung erste Erfahrungen mit der Aufforstung sammeln.

Versuch macht klug, heißt es, unbd Probieren geht über studieren. Ähnlich wie man an einen vergrabenen Schatz erst durch das Wegschaufeln des Bodens kommt oder an den Kern an einer Nuss durch das splitternde Knacken der Schale, so kommt man an die Lösung einer Aufgabe oft erst durch die Feststellung, dass das eine Reihe von bisherigen Versuchen noch nicht die Freilegung der Nuss an sich ist ist. Aber mit jedem Schritt kommt man ihr näher, und am Ende schmeckt die Nuss im Kuchen. Uns wuchs über eine lange Zeit ein erfahrungsschatz heran, über den schon vor 300 Jahren eine Chronologie der Fehlversuche mit Schlussfolgerung für gelingende Versuche der sächsische Oberberghauptmann und königlich-polnische sowie kurfürstlich-sächsische Kammer-und Bergrat Johann Hannß Carl von Carlowitz das Buch schrieb „Sylvicultura Oeconomica“, deutsch: „Wirtschaftliche Waldkultur“. Das war 1713.

Staunend weite Leseraugen

Wenn 2022 ein Mensch über die Idee spricht, sich einen kleinen Wald zu kaufen und ihn zu hegven, zu pflegen und ihm nur soviel zum Leben zu entnehmen, wie er dem Wald auch wieder zurückgeben kann, hört ein Mensch oft die Antwort: “Wenn Du unbedingt Geld verlieren willst, kannst es auch gleich mir geben”. Beide Menschen würden jetzt aber mit staunend weiten Augen vernehmnen, dass im Oekom-Verlag ein 300 Jahre altes Buch neu erschien, dessen modernster Bezug zur Gegenwart die Benutzung des Wortes “Nachhaltigkeit” ist. 1713 verwendete es Hans Carl von Carlowitz in dem Urdruck des hier von Oekom-Verlag neuaufgelgten Buches. Titel, 1713 wie auch 2013 und jetzt, 2022: Sylvicultura oeconomica, deutsch: Wirtschaftliche Waldkultur. Mit sprachgeschichtlich wiedererkennbaren Elementen in Syntax, Lexik und Ausdruck schrieb Hans Carl von Carlowitz:

„Wird derhalben die gröste Kunst / Wissenschafft / Fleiß / und Einrichtung hiesiger Lande darinnen beruhen / wie eine sothane Conservation und Anbau des Holtzes anzustellen / daß es eine continuirliche beständige und nachhaltende Nutzung gebe / weiln es eine unentberliche Sache ist / ohne welche das Land in seinem Esse nicht bleiben mag.“

Ein Blick durch das Lebenszeitfenster von Hans Carl von Carlowitz

Drei Jahre vor der Unterzeichnung und Veröffentlichung des Westfälischen Friedens zum Zwecke des Abschlusses des Dreissigjährigen Krieges strömte die Luft des Lebens ducch das gerade geöffnete Zeitfenster in die Lungen von Hans Carl von Carlowitz. Es war der 14 oder 24 Dezember 1645, je nachdem , ob man den gregorianischen oder den julianischen Kalender als Grundlage der Lebenszeitrechnung anwendet. 1714 starb er Mann im jungen Alter von 69 Jahren, wo die Reife des Lebenswerkes gerade beginnt. Sein Waldkultur-Nachhaltigkeitsbuch von 1713 ist quasi sein “Vermächtnis”. Der dreißijährige Krieg hatte 65 Jahre mit dem Frieden von Osnabrück seinen formalen Abschluss gefunden. Seit 1700 tobte bereits der näcchste Krieg in Europa. Diemal im Norden, und es ging um die Vorherrschaft im Ostseeraum und damit um Handelswege und Rohstofflieferungen. Die Nachwirkungen des Dreißigjährigen muss man wohl weiterhin gespürt haben: Denn Holz wurde zum Neuaufbau gebraucht und auch zum Heizen und Kochen, Und in der Kunst: Nämlich für Schnitzereien und Möbel. Kurz: Zestörte Wälder und Kriegsverödetes Land bedurften der Aufforstung. Das Wachstum musste einerseits schnell gehen, andereseits auch mit Weile, damit auch langlebige Bäume wachsen konnten, deren Reife erst die dritte Generatione von Forstleuten erlebt. Das alles stellte Hans Carl von Carlowitz so ausführlich und aus der Sicht der jeweils befassten Berufe war, dass es immer noch für Ingeneiuere, Raumbiologen, Heizungsfachleute, Forstleute, Volkswirtschaftler und Historiker eine enorme Informationsquelle ist.

Hans Carl von Carlowitz, der historische Fachberater

Ein 300 Jahre altes Buch mit Antworten auf aktuelle Fragen ist fürwahr das Werk eines historischen Fachberaters. Fachleute von heute können auf die Lösungen von früher zurück greifen und sie auf die heutigen Besonderheiten anwenden. Daher gebührt ihm tatsächlich der Titel „Geschichtsberater“, den es ansonsten nur nur literarisch-feuilletonistisch-essayistisch gibt.

(Hans Carl von Carlowitz, „Sylvicultra Oeconomica, neu editiert von Joachim Hamberger, Oecom-Verlag)

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FEUILLETON-REZENSION: Das Ende des Endes der Geschichte

FEUILLETON-REZENSION

Buchtitel: Das Ende des Endes der Geschichte
Autor: Alex Hochuli/George Hoare/Philipp Cunliffe
Verlag:Promedia-Verlag
Name des Rezensenten: Hannes Nagel

„Fukuyama widerlegt: Geschichte geht weiter“

Das Ende eines Endes ist entweder en Neuanfang, dem ein Zauber innewohnt, oder eine Michung aus Apokalypse, Götterdämmerung, Armageddon oder selbstverschuldeter Vernichtung der Lebensgrundlagen der Schöpfung im Allgemeinen durch die völlig verblödet auftretende Krone der Schöpfung. Ein Brasilianer und zwei Engländer haben 2021 das Buch „Das Ende des Endes der Geschichte“ geschrieben. Nach Übersetzung ins Deutsche durch Stefan Kraft gab der Wiener Promedia-Verlag dem Buch 2022 eine mediale Startbasis im deutschsprachigen Raum. Hinten weisen die drei Autoren der Jahrgänge 1985, 84 und 80 die Leser darauf hin, dass sie ihre Gedanken üblicherweise mittels Podcast verbreiten. Die Freiheit der Zugänglichkeit zun dem Podcast behindern sie jedoch durch eine erfolgreiche Spendenzahlung, gestehen die Autoren , die zwischen 37 und 42 Jahren alt sind. Wenn das Geld im Kasten klingt, der Podcast auf den Rechner springt. Mal sehen, wie lange sie brauchen, um zur Reife der Zahlungsmoderatheit vorzustoßen. Junge Menschen brauchen halt Geld. 1

Nach der Selbstdarstellung kommt das Inhaltsverzeichnis

Erst haben sich die drei vom Buch selbst vorgestellt – oder vorstellen lassen – jedenfalls sind sie nachprüfbare Personen und keine Avatare. Nach dem Selbst stellen sie das Werk vor. Und hier beginnen sie mit einer Überschrift, die mehrerere Enden der Geschichte suggeriert. Das ist unnötig, denn Geschichte hat überhaupt kein Ende, weder eines noch viele. Oder wie ein berühmter Bayer sagte: „A bissel was geht immer“. 2 Aber sie steigern sich und kommen zu recht originellen punktgenauen Zusammenfassungen einer Lage in nur einem Satz . Sie schreiben also völlig unaufgeregt ins Buch, dass der Wegfall des Ostblocks für Langeweile gesorgt hat. „Keiner interessiert sich mehr für Politik, nur noch für Konsum“. Aber jetzt, wo es „fast zu spät“ sei, würden Menschen das politische Denken wieder neu erlernen, welches in der Zeit der Spaßgesellschaft kulturell verkümmerte wie jede andere Fähigkeit, die mangels Training vergeht.

Insofern könnte man Social Media Lerner und Über betrachten, deren Talent sich durch Erfahrung erst noch herausbildet, während die ersten Versuche der sozialen Medien um gesellschaftliche Kompetenz noch kein eigenständiges Denken mit Verantwortungsbewusstsein erkennen lassen. Aber es entwickelt sich vielleicht doch noch etwas daraus.

Vom Kommunismus und vom Kapitalismus

Eigentlich ist mit dem Kommunismus der Kapitalismus auch ein Stück weit an den Flügeln gestützt worden. Denn es blieb, so sagen die Autoren, nur der Konsumismus. Auf der Suche nach einem „Sieger der Geschichte“ sehen sie nur den Konsumenten. Der Kapitalismus berappelte sich und begann, mit Propaganda und Marketingpsychologie die Konsumenten den Bauchnabel zu pinseln, damit sie nicht merkten, dass mit dem Verlust des politischen Denkens angesichts von ausreichend Konsumentenspielzeug auch die Freiheit vergangen war oder vergänglich wurde. Kosumentesspielzeug hat einzuig den Zweck, die Kosumenten aktiv an ihrer kreativen Verödung mitwirken zu lassen, indem sie die Lust verlieren, Selbstverständlichkeiten zu hinterfragen.

Mit Globalisierung, Umweltkrisen, Minilohnsektor und Sozialabbau spürten dann auch die Kinder in den Kinderzimmern neoliberalisierender ehemaliger Wohlfahrsstaaten, dass der hätschelnde Wohlstandskapitalismus nur die Propagandafassade für den armen Osten war. – und jetzt dachten sie, mit der Finanzindustrie den Pyrrhus-Sieg des Kapitalismus im Streit mit dem sozialistischen Lager doch noch für sich entscheiden zu können. Um doch noch mal Wohlstand für Alle, wirklich Alle, zu erreichen, muss man aber Bescheidenheit lernen.

Schluss

Von da an wird die Nutzung mdes Plurals in Ende und Geschichte klar: Denn ein jegliches hat seine Zeit. Der Beginn einer Geschichte und das Ende einer Geschichte, aber aller Geschichten. Der Frieden hatte einen Anfang und er fand gerade wieder ein Ende. Der Wohlstand hatte eine Zeit, und er fand sein Ende in der Globalisierungsgier. Die Demokratie hatte viele Anfänge, und sie hatte immer wieder einen Neubeginn.

Aber um DAS mitzuteilen, hätte ein Essay auch gereicht.

(Alex Hochuli/George Hoare/Philipp Cunliffe: „Das Ende des Endes der Geschichte”, Promedia-Verlag, Wien 2022)


1  Ältere aber auch – Hannes Nagel

2  Monaco-Franze, „A bissel was geht immer“, Kultfilm von 1983

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TAGESBEMERKUNGEN: 08.Mai 2022

Zeitgleiche Ereignisse in Berlin

Museum Karlshorst umbenannt, Reichstag-Siegerfoto gebannt, Sinn der Sache unbekannt

Am 04.05 schrieb die Berliner Zeitung bz-berlin.de, dass das in Berlin-Karlshorst befindliche Museum der Kapitaluation der Wehrmacht , des Ende des zweitren Weltkrieges und der Befreiung Europas vom Faschismus umbenannt wurde. Es trug den Beinamen Deutsch-Russisches Museum. Am 08. Mai 1945 wurde an genau diesem Ort die Kapitualtion unterzeichnet. laut BZ hat der Museumsdirektor mit der Umbenennung nur ein Rückkekr zu dem Namen „Museum Karlshortst “ vorgenommen, den das Museum vor der Nutzung des Doppelnamens Deutsch-Russisches Museum trug. Das Wort „Russisch“ wird durch die Wortgruppe „Ort der Kapitulation“ ersetzt, sagte der Direktor der Zeitung laut deren Artikel.

Die TAZ ihrerseits erklärte in ihrem Beitrag, dass das Museum erst seit der Wiedervereinigung Deutsch-Russisches-Museum heißt, weil der bisherige Betreiber die Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland war. Mit dem Abzug der Truppen gab es den Betreiber nicht mehr, aber das Museum sollte bleiben. Der TAZ gegenüber hat der Direktor nach dem Wortlaut des TAZ-Artikels gesagt, dass die Streichung des russischen Bezuges ein Protest gegen den derzeitigen Krieg ist. Daher weht auch nur dnoch die ukrainische Fahne vor dem Museum. Die Russische und die Belorussssische sind eingezogen worden.

Und Ernst Volland schrieb in der BZ: Ein Auktionshaus lehnt ab, das Foto vom Hissen der Sowjetflagge auf dem Reichstag zu versteigern. Das Motiv von Jewgeni Chaldej habe nun einen „Beigeschmack“. Volland, der Meister politischer Fotoplakatkunst, hat unter anderem das Urheberrecht an dem berühmten Reichstagsflaggenfoto. Vollands Beitrag für die BZ lautet wie folgt:

Sowjetische Flagge auf dem Reichstag: Auktionshaus nimmt Foto aus dem Sortiment

Ein Auktionshaus lehnt ab, das Foto vom Hissen der Sowjetflagge auf dem Reichstag zu versteigern. Das Motiv von Jewgeni Chaldej habe nun einen „Beigeschmack“.

Ernst Volland,

Das Foto vom Hissen der sowjetischen Flagge auf dem Reichstag von Jewgeni Chaldej ist eines der meistreproduzierten Bilder des 20. und 21. Jahrhunderts. Es konkurriert in der Akzeptanz und Häufigkeit nur noch mit dem jesusgleichen Che-Guevara-Porträt des kubanischen Fotografen Alberto Korda.

Die unbestrittene Bedeutung dieses Fotos liegt in der Qualität der fotografischen Aufnahme und im entsprechenden historischen Kontext. Das am 2. Mai 1945 gemachte Foto symbolisiert das Ende des Zweiten Weltkrieges, das Ende des Faschismus und das Ende Hitlers.

Fotograf des Reichstagsfotos war ein Ukrainer

Als Jahrhundertfoto, als Ikone in der Geschichte der Fotografie ist es ein begehrtes Objekt in Sammlungen, Museen und auch für Privatsammler. Kürzlich lieferte ein Sammler das Flaggenmotiv bei einem renommierten internationalen Auktionshaus ein. Die Auswahl für ein Motiv kann sich über Monate hinziehen, bei der Einlieferung des Flaggenmotivs wird erfahrungsgemäß nicht gezögert.

Doch diesmal wurde es zwar akzeptiert, jedoch bei Beginn des Ukrainekrieges wieder aus dem Sortiment genommen. Man muss die Entscheidung des Auktionshauses respektieren, aber die dem momentanen Zeitgeist angepasste Absage ist mehr als verstörend bei einem Foto dieser historischen Dimension, zumal der Sammler darauf hinwies, dass Jewgeni Chaldej ein Ukrainer war.

Das Argument zündete nicht, denn umgehend kam die Antwort, man wisse, Chaldej stamme aus der „Ost-Ukraine“ , in der „jetzigen aktuellen Situation“ sei es jedoch angebrachter, das Motiv vom Reichstag zurückzusenden. Das Motiv habe momentan einen „merkwürdigen Beigeschmack“.

Niemand konnte ahnen, dass das Foto eine Ikone wird

Das Foto der Flagge wurde zuerst am 13. Mai 1945 in der Zeitschrift Ogonjok veröffentlicht. Niemand konnte voraussehen, dass es sich zu einer Ikone entwickeln würde, denn es gab andere Fotografen, die ebenfalls spontan rote Tücher, eine Flagge imitierend, auf dem Reichstag hissten. Doch deren Motive setzten sich nicht durch.

Das Reichstagsgebäude wurde von vielen Rotarmisten, wohl wegen des imposanten Baus und seiner zentralen Lage neben dem Brandenburger Tor, für das politische Zentrum Nazideutschlands gehalten Bei seinem ersten Besuch in Berlin später wünschte Chaldej, auf das Dach des Reichstages zu steigen, um die Stelle zu zeigen, an der er das berühmte Foto aufgenommen hatte. Es war seine erste Wiederkehr an diesen historischen Ort. Eine Genehmigung für das Betreten des Daches zu bekommen, gestaltete sich kompliziert, da der Reichstag renoviert und umgebaut wurde. Es war nur mit einer speziellen Genehmigung möglich, auf das Dach zu kommen. Diese Gelegenheit wurde Chaldej gewährt. Chaldej stellte sich genau an die Stelle, an der er die Flagge aufgenommen hatte.

Er berichtete, wie die Flagge gehisst worden war:

„Als ich zum Reichstag kam, wurde noch geschossen, Soldaten liefen herum. Ich nahm die Fahne, die ich bei mir hatte, und sagte zu den drei jungen Soldaten: Lasst uns nach oben gehen und die Fahne hissen. Also gingen wir los und kamen bis zur Kuppel. Unten im Reichstag brannte es noch und auf die Kuppel zu klettern, war einfach unmöglich, wenn man sich nicht räuchern lassen wollte. Wir suchten eine Stelle, die etwas tiefer lag.

Auf der anderen Seite war der Tiergarten – hier gab Berlin keinen guten Hintergrund ab. Ich habe nach einer optimalen Komposition gesucht. An der Stelle, die ich schließlich aussuchte, war eine Blutlache. Das Blut war noch warm. Offenbar hatte dort jemand sein Leben verloren. Ich ging um die Blutlache herum, bat die Jungs, die Fahne zu nehmen und zu hissen. So habe ich das Foto gemacht. Später, als ich unten war, schaute ich nach oben, und mir wurde schwindelig.“

„Reichstag ohne Kuppel ist wie Mann ohne Eier“

Dann mokierte er sich darüber, dass der Reichstag ohne Kuppel nur ein Torso sei.

„Reichstag ohne Kuppel ist wie Mann ohne Eier“, sagte er in fließendem Deutsch zum begleitenden Fotografen und schmunzelte.

Nach der Aufnahme ging er einige Schritte auf dem Dach entlang.

„Bin ich Sieger? Was ist Sieg? Ich fühle mich nicht als Sieger, eher als Verlierer. Eure Rentner fliegen nach Mallorca und ich kann mir nicht einmal fünf Kopeken leisten für eine Tramfahrt ins Zentrum Moskaus.“

Tränen standen in seinen Augen.

Chaldej hatte mit seiner Leica eine Serie von 24 Bildern fotografiert, von deren Negativen die Agentur Tass Moskau heute einige besitzt, andere befinden sich in der Hand der Familie von Chaldej. Alle Negative sind entsprechend der Technik der Kamera in einem Kleinbildformat aufgenommen.

Nach den Aufnahmen, die historisch werden sollten, war Chaldej nach Moskau zurück geflogen. Die Aufnahmen wurden noch am selben Tag entwickelt und Stalin vorgelegt. Dieser bestimmte, welches Foto an die Presse geht und wer die drei Soldaten sind, die die Flagge hissen. Der auf dem Sockel die Flagge haltende Soldat musste ein Georgier sein wie Stalin. Chaldejs Kommentar dazu: „Das sind die drei Soldaten, die die Fahne auf dem Reichstag hissten. Jegorow, Kantaria und Samsonow. Kantaria war Georgier. Sie kamen alle drei zu Ruhm und Ehre, erhielten eine lebenslange üppige Zuwendung.“

Diese drei Soldaten waren an der Erstürmung des Reichstages am 30. April dabei, hatten jedoch keine Flagge gehisst. Sie gehörten zu den verschiedenen Stoßtrupps, bestehend aus fünf Soldaten, die zuerst den Reichstag erreichten. Auch waren diese drei Soldaten nicht die, die auf dem Foto von Chaldej abgebildet sind. Das waren ganz andere Personen, die in der Anonymität verschwanden. An ihre Stelle traten die drei offiziell Geehrten, die Stalin aussuchte.

Stalins Schatten über dem Leben des Fotografen

Der Schatten Stalins schien Jewgeni Chaldej ein Leben lang zu verfolgen. So wie er berichtet, hatte er den Auftrag von Stalin, über die Entstehung des Fotos und die Forderungen Stalins mit niemandem zu sprechen. Und daran hielt er sich.

Es blieb nicht bei einem berühmten Foto. Der 28-Jährige wurde von der Tass nach Potsdam zur Konferenz mit Churchill, Truman und Stalin geschickt. Wiederum konnte er an einem wichtigen historischen Ereignis teilnehmen und mit seiner Leica entsprechende Bilder mit nach Hause bringen.

Kurze Zeit später fotografierte er bei den Nürnberger Prozessen. Dort traf er seinen amerikanischen Kollegen Robert Capa. Sie freundeten sich an und Capa schenkte Chaldej eine Speed-Kamera. Er konnte sie gut gebrauchen. In den Innenräumen des großen Gerichtsgebäudes, das von den Bomben der Engländer verschont geblieben ist, war es schwierig, ohne Blitzgerät zu fotografieren. Bei der Speed-Kamera ist der Blitz in die Kamera integriert und wichtigster Bestandteil. Das Modell ist sehr bekannt, es taucht in vielen Filmen aus den 1950er- und 1960er-Jahren auf.

Durch die Perestroika und damit die Öffnung zum Westen gelang es Jewgeni Chaldej in seinen späten Jahren noch Berühmtheit und Anerkennung weltweit zu erlangen. Auch in Deutschland wurden einige Ausstellungen seiner Werke gezeigt. Er versuchte trotz seines hohen Alters die Ausstellungseröffnungen mitzugestalten und als Zeitzeuge zur Verfügung zu stehen.

Im schwarzen Anzug, die Leica um den Hals, am Revers zwei bis drei Verdienstorden des Großen Vaterländischen Krieges saß er vor dem zahlreichen Publikum, den Gehstock griffbereit, im Gesicht eine überdimensionale Brille, die Gläser dick wie Weckgläser. Kaum waren die letzten Sätze des Eröffnungsredners beendet und noch bevor die Diskussion mit Chaldej überhaupt begann, kamen schon Stimmen und erhobene Zeigefinger aus dem Publikum. „Eine Frage, das Foto ist doch inszeniert, da bin ich ganz sicher.“ „Das Foto ist doch eine Fälschung, habe ich gehört …“

Chaldej saß ganz ruhig da, wartete, bis die Erregung abflaute und sagte dann nur einen Satz. „Ist gutes Foto, nächste Frage bitte.“

Der Vorwurf der Fälschung ist nicht aufrecht zu halten

Am Foto waren kurz nach dem 2. Mai zwei Veränderungen vorgenommen worden. Zum einen hat Chaldej die Szene durch zwei aufsteigende Rauchwolken dramatisiert. Zum anderen entfernte er in den Räumen der Agentur Tass in Moskau, für die er arbeitete, eine der beiden Armbanduhren auf den Handgelenken des stützenden Soldaten.

Beuteobjekte auf einem so wichtigen historischen Foto, das durfte nicht sein. Die Korrekturen sind keine Fälschungen des ganzen historischen Vorganges. Chaldej war zum Ende des Krieges auf dem Reichstag. Er war an dem historischen Ort in Berlin. Die Szene ist nicht vor einer Kulisse in einem Studio aufgenommen.

Der einmal in Umlauf gebrachte Vorwurf der Fälschung ist nicht aufrechtzuerhalten.

So hatte sich das Gerücht auch seinerzeit bis nach Freiburg auf der Ausstellungseröffnung herumgesprochen und Chaldej wurde damit direkt konfrontiert. Es hält sich auch weiterhin hartnäckig.

Die Uhren an den Handgelenken des Soldaten

Ich ließ mich eines Tages aus großem Interesse am Thema von einem DDR-Dokumentarfilmer in sein Haus am Kollwitzplatz locken, der behauptete, er besitze einen Abzug mit drei Uhren an den Handgelenken. Das wäre eine kleine Sensation gewesen.

Er präsentierte mir ein Foto mit zwei Uhren, jeweils eine an jedem Handgelenk. Das war nichts Neues für mich, zumal ich diverse Abzüge mit zwei Uhren kenne. Der Mann wollte sicherlich einfach nur eine kostenlose Expertise. Weitere Fotos wurden mir vorgelegt.

Ich gab bereitwillig Auskunft. Der Filmer war vor Jahren an das Material gekommen, als er in den 60er-Jahren einen Dokumentarfilm über eine Handvoll russischer Kriegsfotografen für die Defa drehte. Damals stellten ihm die Fotografen, darunter Chaldej und Dimitri Baltermans, ein weiterer sehr bedeutender russischer Fotograf aus dieser Generation, die Abzüge selbstverständlich für das Projekt zur Verfügung. Die Frage ist berechtigt: Ist der Dokumentarfilmer der rechtmäßige Besitzer der Fotos?

Der Bitte, seinen Film einmal zu zeigen, kam er nicht nach. Im Gegenteil, er wollte ihn mir nicht zeigen, weil es angeblich keine Kopie mehr davon gab. Ein halbes Jahr später bot ein Berliner Auktionshaus seine Sammlung russischer Kriegsfotografie zum Verkauf an.

Grundsätzlich geben die Auktionshäuser die Namen der Einlieferer nicht preis. In diesem Fall erkannte ich jedoch einige der mir beim Tee vorgelegten Abzüge. Die Zeit für die Auktion war gut gewählt, denn wenige Monate zuvor wurde eine Chaldej-Ausstellung im Martin-Gropius-Bau Berlin eröffnet. Sie erhöhte natürlich den Wert der Sammlung, der Verkauf war jetzt einfacher.

Ich schaute mir nach der Auktion noch einmal das von der Direktion des Gropius-Baus ausgelegte große rote Gästebuch an, das eine Fülle an Kommentaren enthielt, aus den unterschiedlichsten Ländern und in den verschiedensten Sprachen. Darunter Zeilen bitterster Trauer. Eine Frau schrieb, sie habe vor den Aufnahmen Chaldejs zum ersten Mal ihren Mann weinen gesehen.

Ich entdeckte dabei auf der ersten Seite als allerersten Gästebucheintrag eine schriftliche Bemerkung des teetrinkenden Dokumentarfilmers. Er schrieb, dass er der eigentliche Entdecker Chaldejs sei.

In der Sowjetunion kennt jedes Kind das Motiv

Für die Russen besitzt das Bild eine andere ikonische Bedeutung als für Fotokenner und Sammler. In der Sowjetunion kannte jedes Kind das Motiv. Auch heute noch, 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, kennt es jedes Kind in Russland. Am 9. Mai, am Tag des Sieges über Hitler, am Tag des Großen Vaterländischen Krieges, dem höchsten Feiertag des Landes, wird es wieder landesweit reproduziert und ausgestellt. Die Zeitzeugen sind fast alle gestorben, das Gedenken an den Krieg bleibt lebendig.

Die Schätzungen über die Zahl der sowjetischen Toten durch den barbarischen Angriff, von den deutschen Militärs als „Unternehmen Barbarossa“ bezeichnet, am 22. Juni 1941, schwanken und sind nicht genau. Bei einer Zahl von 30 Millionen Toten ist das auch nicht möglich, darunter Millionen Zivilisten, Frauen, Kinder.

Auch der Begriff Tote, statistisch, abstrakt, trifft nicht genau. Es handelt sich um Menschen, die auf unterschiedlichste Weise grausam, barbarisch umgebracht worden sind. In jeder Familie des großflächigen Reiches war ein Toter zu beklagen.

Die nächste Frage an Chaldej aus dem Publikum war: „Sie sind jetzt in Deutschland, im Land der Täter. Wie fühlen Sie sich?“ Seine Antwort: „Wissen Sie, mein Vater und zwei meiner Schwestern sind im Donbass, in der Ukraine, in der Nähe meiner Heimatstadt bei lebendigem Leibe in eine Kohlengrube geworfen worden. Zusammen mit 70.000 anderen Juden. Das waren nicht nur Deutsche, dabei waren auch viele Ukrainer, die geholfen haben.“

Stille im Raum.

(Nachdruck mit Zustimmung Ernst Vollands)

Veröffentlicht unter Tagesbemerkungen | Kommentare deaktiviert für TAGESBEMERKUNGEN: 08.Mai 2022