FEUILLETON-REZENSION: Trotzdem

FEUILLETON-REZENSION

=====================

„Trotzdem“

Der Verlag heißt Luchterhand, und das Buch von Ferdinand von Schirach und Alexander Kluge ist dem Impressum nach bereits als sechste Auflage erschienen, obwohl es erst im März 2020 fertig geworden sein soll. Corona soll den Wortlaut überrrollt haben wie ein nasser Schwamm die Kreidedarstellungen auf einer herkömmlichen Schultafel. Wenn man dann auf diesem nassen Grund einen neuen Text mit Kreide verfasst, braucht man sich nicht über den Grad der Sichtbarkeit des Tafelbildes zu wundern.

Ziemlich schnell entstanden.

Herr Ferdinand von Schirach und Herr Alexander Kluge wollten sich persönlich zu einem Dialog treffen, in welchem sie sich über den Zustand der Gegenwart austauschen wollten und warum die ganze Welt dümmer sein kann als zwei Herren, die sich gedanklich austauschen. Das persönliche Treffen kam nicht zustande, weil persönliche Treffen wegen Corona nicht möglich waren. Wegen des technischen Fortschritts aber konnten die beiden Herren ihren geplanten Dialog mit einem Instant-Messaging-programm führen. Da hatte zumindest den Vorteil, dass der Text mit seiner Verkündung auch gleich transkribiert war. Dennoch wundern sich die beiden Disputanten über ihre Intelligenz. Wie kann das sein, das zwei zugegeben belesene Herren zu einem weitestgehend noch informationslosen Lagezustand mit einer unerforschten Seuche oder Pandemie oder einer globalen Krise einigermaßen klug diskutieren konnten? Alle anderen haben wild drauflos spekuliert, wie die Boulevard-Rüpel, die mit zehn Mikrofonen einen völlig überforderten Angehörigen eines Menschen aus einem Opfer-Täter-Beziehungsgeflecht überfallen? Sie reden alle durcheinander, nicht einmal ihresgleichen lassen sie ausreden. Das sieht schematisch wie ein Gleichungssystem aus:

Ihr Mann sollSchwarzgeld gewaschen haben
Kinderpornos vertreiben
Zum Rotlicht gehören
ein Millionenbetrüger sein
Was sagen Sie dazu?

Kein Kritiker lässt an einem andern ein gutes Haar

In so einer Situation kann niemand alle gestellten Fragen beantwortten – und die Fragesteller wollen auch gar keine Antworten hören. Ihnen genügt zur Stimmungserzeugung ein Schweigen, auf das sie schreiben können: „Was hat die Ehefrau zu verbergen, wenn sie auf ganz einfache Fragen der Öffentlichkeit schweigt?“

Auf vergleichbare Art nehmen auch verschieden geäußerte Meinungen keinen Bezug aufeinander. Wo es auf Sensation ankommt zählen Behauptungen. Es geht um Behauptungen, die auf Social Media-Kanälen ihren publizistisch verfolgbaren Quellort hatten. Wenn sich Zweifel ergeben, wird der Meinung das Attribut „wissenschaftlich“ angehängt. Unantastbar ist das Dogma, fertig mit der Welt und mit dem Wunsche zu verstehen ist die Öffentlichkeit – und freie Bahn hat fortan jegliche Behauptung. Bis jemand kommt und untersucht das Netz, an dessen Knoten die Behauptungen zusammenhängen.

Herrn Kluge fällt das leicht. Er ist durch die permanente Übung seiner bisherigen Täigkeit in der Lage, zumindest die Möglichkeit eines jeglichen Zusammenhanges anzunehmen und dann mit Fantasie auszuschmücken. Man muss seine Art nur kennen, um ihn nicht falsch zu verstehen. Meinungen zum Thema Corona nehmen sich da selbst viel zu ernst. Aber wie selten zuvor gilt: Man muss auch mal die andere Seite hören. Am Besten abwechselnd im Wechselspiel von Ausspruch und Widerspruch.

Diese Wechselspiel exerzieren Kluge und von Schirach ganz ausgezeichnet.

Schirach: „Scheußlich, was wir gerade für Worte lernen. Herdenimmunität, Durchseuchung. Wir wollen also in München auf dem Marienplatz dagegen demonstrieren.“

Seite 13

Kluge: „Das könnten wir nicht. Wir könnten versuchen, zu behaupten, wir wären verwandt. Geistesverwandt sozusagen“

Seite 14

Gemeinsames Fazit: Es dürfte schwer fallen, erstens den Behörden gegenüber eine Geistesverwandschaft zu behaupten und dann die zulässiger Kontakte wie bei familiären Verwandschaften erfogreich geltend zu machen.

Das zweitschönste Wechselspiel-Beispiel ist die vergleichende Darstellung der Möglichkeiten die Juristen haben die Politiker haben und die fachwissenschaftler wie zum Beispiel Virologen haben.

Die Verfassungsrechtler sagen: Das gewählte Mittel der Grundrechtebeschränkung ist erforderlich, wenn es keine mildere Maßnahme mit dem gleichen Nutzen gibt.

Virologen sind sich selbst uneins: Denn erstmal müssen sie forschen und ihre Theorien durch weitere Forschungen widerlegen lassen.

Die Politik sagt: Dann müssen wir den Erfolg von Beschränkungen ausprobieren.

Und die Populisten geifern: Sieh Volk, deine Regierung weiß nicht was sie tun soll, sie macht nur Aktionismus, das bringt nicht, daher muss sie weg.

(Das eine weg-gebrachte Regierung noch weniger ausrichtet als eine die durch Versuch und Irrtum eine Lösung für alle zu finden, begreifen Populisten wohl nie)

Es ist ganz wohltuend, unaufgeregte Debattenprotokolle ala Schirach-Kluge zu lesen.

(Ferdinand von Schirach/Alexander Kluge: „Trotzdem“, Luchterhand, München 2020)

Dieser Beitrag wurde unter Feuilleton-Rezension abgelegt und mit , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.