FEUILLETON-REZENSION: “Pandemie. Geschichten zur Zeitenwende”

Rezension: „Pandemie“

H.J.Kugler und andere, Hirnkost-Verlag, Berlin, Oktober 2020)

„Science-Fiction-Literatur ist genauso ratlos

wie die Corona-Forschung“

Die Forschung insgesamt hat noch nicht genug Erkenntnisse gesammelt, um über das Thema CORONA, SARS, COVID seriöse Aussagen zu treffen. Der Volksmund weiß es besser und läßt Aussagen an die Öffentlichkeit dringen, wenn sie Subekt, Prädikat und Objekt besitzen. Das sind Aussagen, bei denen die Grammatik stimmt, aber nicht die semantischen Beziehungen zwischen den Aussagen. Alle sprechen von „die“ oder „sie“, sagen aber nicht, wer jeweils gemeint ist. Nur eines wissen angesichts dieser Lage die Macher ds Buches “Pandemie“ schon genau: Ihre gesammelten Science-Fiction-Erzählungen sind Ausdruck und Ergebnis einer Zeitenwende. Mit Verlaub: Diese Zeitenwende schau ich mir an. Historische Ereignisse im Stadium ihres Stattfindens zu beobachten hat mich schon immer interessiert.

37 Autoren schrieben für das Buch „Pandemie. Geschichten zur Zeitenwende Beiträge. Eines trifft zu: Die Corona-Pandemie ist tatsächlich zum führenden Medienthema geworden. Sogar der NATO-Aufmarsch an der russischen Grenze ist hinsichtlich der medialen Erwähnung unbedeutend. Militärische Themen kommen fast nur n der form militärmedizinischer Unterstützung der ansonsten zuständigen Zivilverteidigung vor, wie der gesamte Zivilschutz seit Juni 2016 und der damals begonnenen Änderung der gesetzlichen Bestimmungen in gleich drei Bereichen neuerdings genannt wird.

Wahr ist, dass die CORONA-Krise eine erschreckende Störung der bisher gewohnten öffentlichen Ordnung. Besonders erschreckend und verstörend an der Krisensituation ist, dass keiner wirklich richtig weiß oder wissen kann, was eigentlich los ist. Vieles bleibt nach dem Grundsatz des früheren Innenministers Thomas de Maiziere vorsorglich ungesagt. Der Innen-Thomas hatte am 18.November 2015 in Hannover ein Fußball-Länderspiel abgesagt und mit Hinweis auf eine nicht konkret benannte Terrordrohung gesagt: „Manche Informationen würden die Bevölkerung nur beunruhigen“. Wichtige Dinge zu verschweigen beunruhigt allerdings auch. Das fiel dem Minister damals nicht ein. Damals, am 18 November 2015. Aber so ein Spruch bleibt in den Köpfen – egal was die Köpfe damit machen.

Zwischenliste: Bisherige Literatur

Corona-Fehlalarm, 22. April 2020

Coronomics, 15.Mai 2020

Viren, 25. Mai 2020

Pandemie. 09.Juni 2020

Shutdown, 01. Juli 2020

Wie wir unsere Wirtschaft retten, 21. Juli 2020

Viren für Anfänger, 15. September 2020

Chronik einer angekündigten Krise, Oktober 2020

Pandemie. Geschichten zur Zeitenwende, Oktober 2020

Lockdown 2020, Oktober 2020

Spekulative Geschichten

Der Titel „Corona-Fehlalarm“ wurde in der in der Oktoberausgabe als publizistischer Schnellschuss besprochen. In dieser Ausgabe kommtn zwei Bücher dran: „Pandemie. Geschichten zur Zeitenwende“ und „Chronik einer angekündigten Krise.“. Zunächst zur Zeitenwende.

Die „Geschichten zur Zeitenwende“ sind nirgends analytisch, dokumentierend oder realistisch. Sie sind Beschreibungen wahr gewordener Ängste, deren Wahrwerdung eine Möglichkeit aber nicht unbdeingt die größte Wahrscheinlichkeit ist. Sie sind damit ungefähr so verantwortungvoll wie ein auf Facebook geteiltes video, wo jemand in einem Sportpalastartigen Auftritt in einem vollen Zug Kinder fragt: „Wollt Ihr an dem Kohlendioxid eurer Ausatemluftin der Maske ersticken?“ „Nein“, ruft die Masse der Kinder. „Dann nehmt eure Masken ab“, sagt der Jemand. „Jaaaa“ rufen die Kinder und nehmen die Masken ab. Jetzt noch „Heil Dir im Siegerkranz“, sonst wäre es zu auffällig, und dem Jemand wäre die Joseph-Goebbels-Gedenkmedaille mit Diamant am Band samt Schärpe sicher. In der Literaturwissenschaft werden düstere Szenarien einer noch nicht eingetretenen Zukunft als Dystopie bezeichnet. Studenten lernen als Eselsbrücke „Düstere Utopie“. Klingt eben ähnlich. Wenn Utopien wahr werden, können sie düster oder befreiend sein. Und diese 37 Geschichten der Autoren, die versuchen zu beschreiben, wohin Krisen, Virus und gesellscahftliches Management führen, verbreiten 37 traurig-trostlose Zukunftsaussichten im Stile klassischer Science-Fiction-Autoren.

Aber warum muss man gleich von Zeitenwende reden? Wenn überhaupt, hat sich die letzte Zeitwende mit dem Übergang von der Aufteilung der Welt in den sozialistischen Ostblock einerseits und die imperialistischen Einflussbereiche andererseits zum globalisierten Neoliberalismus ereignet. Es hätte auch die Chance bestanden, dass sich die Welt frei nach Gotthold Ephraim Lessing zum kosmopolitischen Weltbürgertum entwickelt, in dem jeder seiner unbestochnen, von Vorurteilen freien Liebe nachgehen kann, und zwar mit Eifer.

Zwischen den Zeilen lesen, heißt Fehlendes zu denken

Krise ist nie nur lähmende Dystopie, sondern Eröffnung neuer Chancen und Ideen. Auch die CORONA-Krise, aber der Aspekt fehlt dem Buch total. CORONA bot bisher die Möglichkeit der Entschleunigung. Das allein reicht nicht. Aber sie ist ein guter Anfang. Wenn Dystopien sinnvoll sind, wecken sie den Wunsch nach Licht, weil alles so finster ist. Und wo man das fehlende Licht in die Texte erst naoch als Leser selbst hineinschreiben muss. da haben Aufklärung und Erleuchtung Zugang zu Herzlichkeit und Nächstenliebe geschaffen.

Wo Ideen aktivieren, entsteht Freiheit.

(Hans-Jürgen Kugler u.a.. „Pandemie. Geschichten zur Zeitenwende“, Hirnkost, Berlin, Oktober 2020)

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