FEUILLETON-ZEITGEIST: “Warum man publizistische Beliebigkeit erzeugt”

FEUILLETON-ZEITGEIST

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„Warum man publizistische Beliebigkeit erzeugt“

Unbehaglich fühlt sich die klassische Öffentlichkeitsarbeit im Zeitalter der Social Media. Es ist nicht mehr so einfach, eine führende Meinung aufzubauen und durchzuhalten, wenn man nicht mehr gleichzeitig der Hohepriester seiner eigenen Firmenideologie oder Produktideologie ist. Woher nehmen aber die „Notizzettel am Schwarzen Brett“ in ihrer digitalen Form solche Wirkungskraft, dass Leser eine zum Teil auch haarsträubenden Behauptung auf Youtube oder Twitter eher glauben als den Nachrichten, der gewohnten Tageszeitung oder den „üblichen Experten“, die man bisher immer befragen konnte und so beruhigende Antworten bekam, dass „zu keiner Zeit Menschenleben in Gefahr waren“ oder „niemand irgendeine niederträchtige Absicht hegt“. Man könnte meinen, die Medien seien spezielle Bataillone moderner Informations-Kampfeinheiten. Bisher suchen sie noch nach ihren taktischen Einsatzmöglichkeiten. Sie glauben die Aufgabe darin gefunden zu haben, solange lauter zu schreien als der andere, bis möglichst alle Infos in der Masse untergehen. Denn im Gemenge mit anderen wirkt keine Information. Perlen unter einem Haufen Müll zu finden ist schwer. Wunderbar für Leute, die mit der Wahrheit lügen können, wie Militärs, Immobilienspekulanten und Politiker, die zugleich mit einem öffentlichen Amt Geschäftsleute sind. Man kann mit der Wahrheit lügen, indem man man sie einerseits sagt, andererseits dafür sorgt, dass sie keiner hört. Im Fernsehen zeigt man solche Inhalte erst von Ein Uhr 15 bis Ein Uhr 45. Und man schreibts nicht in die Programmzeitung. Wer es verpasst, hätte sich ja ans Grundgesetz halten können:

„Art 5. (1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“

An die Stelle der Informationen treten Stimmungen. Stimmungen sind stärker als Worte. Sie sind so stark wie Bilder. Sie dringen an der Kritik vorbei und lähmen die Vernunft. Jedenfalls für einen Moment. Stimmungen zielen auf die Leidenschaften und die Mobilisierung des Handelns im Affekt. Im Affekt werden Asylhotels angezündet, Autos umgekippt, Hochsitze angesägt, Steine auf Demos geworfen und Molotowcocktails eingesetzt. Durch publizistische Beliebigkeit kann man für jeden Affekt die kritische Macht der notwendigen Mitläufer erzeugen. Mit den Sozialen Medien wird die Stimmungserzeugung immer einfacher. Würden sie ein Bildungswerkzeug kritischer Vernunft werden, würden sie wirklich eine Gefahr für die derzeitigen Entwicklungstrrends werden. Gefahren? Bildung gefähdet die Dummheit. Aber die Dummheit steht bei den Inhabern politscher und wirtschaftlicher Macht unter Artenschutz. Von Menschen dumm und arm zu halten, träumen immer schon die Machtgewalten.

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