FEUILLETON-REZENSION:

Rezension „Die Daten die ich rief“

 „Und wenn sie wissen, wohin ich schaue?“

 Als 1998 die Möglichkeiten der heutigen Informationssammlungen über Menschen noch in den Kinderschuhen steckte, war es das lächerliche Marketing mit Bestellkatalogen, von dem man leichtsinniger weise dachte, es wäre wirklich nur die Werbung, die Interesse daran hätte, Kundenwünsche zu erfüllen oder zu erkennen, bevor der Kunde sie kennen würde. Neulich schloss ich mein Fahrrad an, um in einer Einkaufspassage was zu erledigen. Ich hatte niemandem gesagt, was ich wollte, aber ich muss gesehen worden sein. Beim Bäcker sagte die Verkäuferin: „Ich hab den Kaffee schon da hin gestellt“; aus dem haushaltswarenladen schoss die Bedienung hervor und meldete: !Ihre Bestellung ist da“. Harmlos, aber zunehmend unerfreulich. Wenn früher jemand eine Dienstleistung regelmäßig in Kauf nahm, war es normal, sich vorher zu vergewissern: „Einmal wie immer?“ Abe so harmlos ist das alles gar nicht mehr. Facebook, Google und Twitter sind schuld daran. Bei der Nutzung des Internets will ich Nachrichten suchen und finden, die mich interessieren, und nicht beim Lesen von einem eingeblendetem Fenster unterbrochen werden, auf dem steht: „Kunden, die diesen Artikel gelesen haben, lesen auch diesen hier“ oder einfach der Hinweis: „Auch interessant: Kuck mal hier“. Darum hat Katharina Nocun im Lübbe-Verlag das Buch „Die Daten, die ich rief. Wie wir unsere Freiheit an Großkonzerne verkaufen.“ Es muss als gar nicht mehr wundern, dass es Unternehmen gibt, die alles über Menschen sammeln, was sich algorithmisieren lässt. Wenn einer alle Schnipsel zusammen setzt, dann hat der vermutlich ein gottgleiches Wissen über die gesammelten Daten eines Menschen und verdient womöglich saumäßig viel Kohle, wenn er die Daten an einen Endnutzer verkauft. Ich frag mich manchmal. ob man die Bitte nach einer Unterschrift nicht einfach mit dem Hinweis abschmettern kann: Meine Unterschrift ist so teuer, dass Sie sich die gar nicht leisten können.“ Eine Schutzgebühr für Daten und Unterschriften – dass wünscht man sich, wenn man das Buch von Katharina Nocun gelesen hat. Aber man vergisst dabei: dann hat man zwar die Schutzgebühr, die Datensammler sind aber noch lange nicht an ihrem Treiben gehindert. Statt dessen erlebt man, dass Daten selbst in vremeintlich überwachungsfreien Gebieten und ohne jegliche Vorwarnung erhoben werden. Das tun Überwachungskameras. Der Trend geht dahin, sie auch dort anzubringen, wo ein Mensch die allerintimsten Handlungen verrichtet. „Das ist der ultimative Kontrollverlust“, schreibt die Autorin. Kurz danach beginnt eine andere Frage heran zu schleichen: Kann man sich den Datensammlern entziehen, wenn man fast keine Technik oder Apps für das verfluchte und gesegnete Smartphone benutzt. Erste Teilantwort: Die Daten würden niemandem nützen oder schaden, sondern sein wie der wehende duft eines vorbei kommenden Parfums, wenn niemand sie auswerten könnte. Dafür braucht man dann Werbepsychologen, die meist besser ausgebildet sind als die, welche Menschen mit Konsumverursachten Störungen helfen sollen. Diese Leute können aus Einkaufslisten Profile erstellen. Die Listen bekommen sie von der Kaufhalle. Ein Zettel reicht nicht, es müssen viele sein. Mich hat Amazon als Onlinekunden mal abgelehnt, weil ich immer wieder ein neues Kundenkonto angelegt hatte. Nur die Mailadresse blieb gleich. Amazon schrieb mir: Wir lehnen weitere Beziehungen zu Ihnen ab, weil wir über Sie kein Profil erstellen können. Ich hab es mir dann doch verkniffen, zu schreiben, genau das war ja auch die Absicht. Ein wenig selber denken tut auch Konzernen gut. Wenn wir schon sonst nicht viel gegen „die da“ ausrichten können. Die Autorin stellt fest: „Die Trennlinie zwischen Daten, die wir als harmlos erachten, und unserer Intimsphäre ist fließend.“ Und ehe man sichs versieht, ist der Rubikon überschritten.

Dann aber kommt, was die Datensammler des Marketings vorbereitet haben: Der ungenierte Zugriff aller Staaten auf die Daten der Bürger unter öffentlichem Bruch verfassungsrechtlicher Grundsätze. Wenn das Gute an der Demokratie einfach nur die im gleichen Atemzug genannte Meinungsfreiheit und der Schutz der Privatsphäre ist, dann ist das Stichwort Demokratie ein Wert an sich, der durch das Große Datengeschäft in der Reduktionskurve auf Null entlang schrammt.

(Katharina Nocun, „Die Daten, die ich rief“, Bastei Lübbe, Köln 2018)

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