FEUILLETON-REZENSION: Die Besiegten

Rezension „Die Besiegten“

„Die Sprache der Opfer erklärt Krieg und Gewalt“

 Im Januar 2017 erschien ein Buch von Robert Gerwarth im Siedler-Verlag mit dem Titel „Die Besiegten“. Es ist die Übersetzung des Originaltitels „The Vanquished. Why the First World War failed to End“ – warum der Erste Weltkrieg nicht aufhörte. Damit meint Robert Gerwarth, dass die auch im Schulwissen gelehrte Geschichte von Bürgerkriegen und bewaffneten Unabhängigkeitskämpfen in Finnland, Ungarn, Russland und dem Osmanischen Reich als Fortsetzung des Krieges trotz des Versailler Friedensvertrages betrachtet werden können. Dem braucht man nicht zu wiedersprechen.

Am Anfang steht die These, dass die Gewalt im Kriege eine allgemeine Verrohung erzeugt, die auch nach dem offiziellen Abschluss von Kriegen mittels Friedensvertrag noch anhält. Der in Dublin lehrende Historiker Robert Gerwarth untersuchte diese These am Beispiel der Nachkriegsgewalt am Ende des Ersten Weltkrieges. Wo Militär ist, aber keine militärische Führung mehr, machen sich zuweilen Truppenteile selbständig und ziehen als „marodierende Banden“ durchs Land. Das ist nichtgs Neues: Von Greueltäten, Rechtlosigkeit, Schutzlosigkeit, Raub und Plünderung kann man in irgendeiner Form nach jedem Krieg nachlesen, über den noch Chroniken vorhanden sind. Allerdings ist es fraglich, ob die Verrohung tatsächlich erst durch die Abstumpfung der Menschlichkeit im Krieg erfolgte oder ob die Gewaltbereitschaft nicht schon vor den Kriegen vorhanden war und in ihnen offen ausbrach, weil kein Ordnugsprinzip namens Kultur sie aufhielt. Gerwarth erört dieses an den Bürgerkriegen in Russland nach der Eroberung der Macht durch Lenins Bolschwewiki, am Beispiel deutscher „Freikorpsmarodeure“ in Estland, Lettland und Litauen, am finnischen Bürgerkrieg zwischen „Roten“ und „Weißen“, der mit einer ziemlich brutalen Niederschlagung der „Roten“ endete und an Beispielen von Gewalt in der Folge des Zerfalls der Vielvölkermonarchein Östrerreich – Ungarn nd Osmanisches Reich.

Beim Lesen der vielen Details muss man sich mehrere Male klar machen, dass man scheinbar ein Geschichtsbuch liest mit einer sauber gearbeiteten Faktenfülle, aber andererseits auch ein Buch mit dem Anspruch, aus diesen Details Erklärungen abzuleiten. „Europas gewaltsasmer Übergang vom Ersten Weltkrieg zum chaotischen Frieden der 20er Jahre ist das Thema dieses Buches“, schreibt der Autor auf Seite 16. Im Grunde versucht er damit herauszufinden, ob die Gewalt im Krieg am Ende zu einer friedlichen Ordnung führen kann, indem ein Staat nach dem Krieg einiger machtpolitischer Zwangmittel bedarf, um Ordnung und Sicherheit wieder herzustellen. Wie vor dem Krieg, als es trotz aller sozialen Spannungen und aller Gegensätze und aller im Wesen der kapitalistischen Wirtschaftordnung liegenden Krisen in Produktion und Absatz immer noch eine gute bürgerliche zivilisierte Kultur gab. Wobei es an dieser Stelle klärungsbedürftig bleibt, weshalb die Kultur nie stark genug war, sich gegen den Krieg zu behaupten, um ihn noch vor dem Beginn unmöglich zu machen.
Im Prinzip zeigt das Buch, dass zwischen Gewalt und Friedensordnung kein ursächlicher Zusammenhang besteht. Daher kann die Gewalt auch nie Ordnung und Sicherheit herstellen.

Gewaltfreiheit und damit Kultur aber könnten Ordnung und Sicherheit erhalten.

(Robert Gernwarth, „Die Besiegten“, Siedler – Verlag, München 2017)

Dieser Beitrag wurde unter Feuilleton-Rezension abgelegt und mit , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.