FEUILLETON-KULTURBETRIEBLICHES: Schnapslager und Bücher(h)ort

Schnapslager und Bücher(h)ort

Geschichte eines Gebäudelebens

Geschichte ist die Auswertung von Erinnerungen. Die Auswertung von Erinnerungen basiert auf der Aufzeichnung von Notizen. Die Notiziare der Geschichte sind Chronisten. Die Auswerter der Chroniken sind Historiker. Chronisten notieren, was der Zeitgeist wispert, und Historiker hinterfragen später die Zeitgeistprotokolle der Chronisten. Denn wer Vieles kennt, kann Einiges vergleichen.
Und so notierten Chronisten für die Jahre 1841 bis 1846,  dass am Zierker See in Neustrelitz ein Stadthafen angelegt wurde. Damals gab es in Neustrelitz noch andere Wirtschaftszweige als den Tourismus, die einen Hafen samt Lagerhäusern, Warenkontoren und Verwaltungseinrichtungen brauchten. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren es die Holzwirtschaft, der Getreidegroßhandel, die Landwirtschaft sowie Fischerei und Ziegelei, die am partiellen Wohlstand der Einen und an der partiellen Armut der Anderen Teil hatten. Bis 1865 sind drei große Speichergebäude im Auftrag von Kaufleuten als Bauherren im Hafengebiet gebaut worden. 1903 kam noch die Schüdersche dampfmühle dazu. Seit 1927 gibt es auch eine Bahnanbindung vom Hafen an das öffentliche Eisenbahnnetz, nachdem der Besitzer der Schüderschen Mühle der Bahngesellschaft sozusagen ein Wegerecht für das Gleis über seine Flurstücke eingeräumt hatte. Nach einen Zeitraum von 167 Jahren hatte der Tourismus die Vergangenheit folkloristisch übernommen. Die Ergebnisse der Fischerei werden geräuchert und vor Ort verspeist, im Hafen machen Wasserwanderer mit Hausbooten, flößen und Yachten fest, ein Speicher ist Wohnhaus, einer Hotel, einer Gastronomie mit Wohnwelt und einer der drei Speicher enthält die „Antiquariate im Speicher“. Das Gebäude mit den Antiquariaten im Speicher war Futtermittellager, Lager des Schnapsgroßhandels und enthält heute eine Möbelbörse für Gebrauchtmöbel zum kleinen Preis, eine Einrichtung für Antiquitäten aller Art und unterm Dach einen Ort für ein paar tausend Bücher von ernsthafter Bedeutung, leichter Unterhaltung bis fragwürdiger Massenware. Mit den unterschiedlichen Nutzungsarten des Speichers waren auch immer unterschiedliche Nutzerpersönlichkeiten und Besitzverhältnisse verbunden. Für die Besitzverhältnisse zwischen Hafenbau und dem Beginn des Speicherbetriebes gibt es im grundbuchamt keine Unterlagen mehr. Möglicherweise sind sie im Archiv in Schwerin gelandet. Aus den noch gefundenen Amteintragungen ergbit sich jedoch folgendes Im Kornspeicher, der heute Hotel und Rösterei beherbergt, wurde Getreide gelagert. Das war logisch, denn die Mühle befand sich gleich daneben. Das Mahlgut wurde von dort aus in den beiden anderen Speichern gelagert. Der Speicher mit der Gastronomie war Getreidelager; der Speicher mit den heutigen  Antiquariaten war zunächst Getreide-und Futtermittellager.
Im Grunde gibt es erst wieder Grundbuchaufzeichnungen aus der DDR-Zeit bis zur Wende. Und es gibt Protokolle über die Enteignung von Speicher-und Mühlenbesitzer namens Schüder. Aber Grundbucheintragungen mit dem Namen Schüder gibt es nicht. Was es gibt, stellt sich folgendermaßen dar:

Kornspeicher Zierker Nebenstraße 2:

1934-1967 Kurt Bentzin

1967-1984 Großhandelsgesellschaft Lebensmittel

1984-1989 Kombinat Großhandel Waren täglicher Bedarf alias Vier-Tore Handelsgesellschaft

Auf den Speicher, der heute die Antiquariate enthält, gibt es Aufzeichnungen aus dem Stadtarchiv, über belegen, dass die Firma Schüder der Besitzer war und 1947 enteignet wurde. Der Besitz ´wurde an den Rat der Stadt Neustrelitz, Abteilung Handel und Versorgung, übertragen.

Die Vorgänge um die Enteignung des Schüderchen Besitzes scheinen eine mehrfach konfliktreiche Familiengeschichte zu sein. In solche Geschichten haben sich Chronisten nicht ungebeten hinein zu mischen. Behutsame Anfragen sind in Vorbereitung.

 

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