FEUILLETON-REZENSION: Der Tod eines Zwangsarbeiters

Rezension „Tod eines Zwangsarbeiters“

„Einmal keilt jede Aktenlüge auf den Lügner zurück“

Es ist weiß Gott keine angenehme Arbeit, Dokumente von Gestapoleitstellen, nationalsozialistischen Behördenschriftwechsel und Vorschriften aus diversen Reichsgesetzblättern zu lesen. Aber es ist eine wichtige Aufgabe. Denn der mit dieser Arbeit einhergehende beinahe körperliche Kontakt mit der Vergangenheit schärft den Blick und verfeinert die Bewertungskompetenz. Wenn man in Leitzordern blättert, die einmal in einer Gestapodienststelle geführt wurden, ist man so dicht an einem Geschichtsthema dran als wäre man ein direkter Beteiligter gewesen. Auf jeden Fall kommt man dem Sachverhalt oder einer Tat aus der Vergangenheit näher als würde man ausschließlich Zeitzeugen und bereits bestehende Abhandlungen als Informationsquelle zur Verfügung haben. Zeitzeugen haben Opfererinnerungen  – Originalakten in den Händen sind unmittelbar an der Täterseite dran. Aber durch die Zeitzeugen bekommt man Hinweise darauf, in welchen Archiven unter welchen Suchkriterien das Originalmaterial gefunden werden kann. Und dann braucht man Nerven, Fleiß und Zeit zur Beruhigung emtotionaller Erregungszustände, um den Stoff zu verarbeiten.

Dem Historiker Andreas Seeger ist das recht gut gelungen, als er ein Buch über den „Tod eines Zwangsarbeiters“ schrieb. Der polnische Zwangsarbeiter Andrzej Szablewski wurde im März 1942 auf einem landwirtschaftlichen Gut bei Hamburg gehängt. Die Hinrichtung begründete die Gestapoleitstelle Hamburg auf der Grundlage einer Anzeigendenunziation des Gutsverwalters mit den Nürnberger Rassengesetzen von 1935 und zweitens mit den im Rahmen des Generalplans Ost erlassenen Vorschriften über die Behandlung polnischer und anderer östlicher Zwangsarbeiter, die wiederum „ganz oben“, bei Heinrich Himmel im Miefkreis, erlassen worden waren. Der polnische Zwangsarbeiter wurde getötet, weil ihm und einer aus Deutschland stammenden Frau eine sexuelle Beziehung unterstellt wurde. Offenbar war das schon als Behauptung eine Straftat nach der perversen NS-Justiz und der ausführenden Behörden.

Andreas Seeger hat sehr detailliert und plausibel herausgearbeitet, wie das Zusammenwirken der Behörden und Dienststellen beim Uumgang mit Arbeitskräften war, die „ins Reichsgebiet“ deportiert wurden. Der Ausdruck Arbeitskraft erscheint angesichts der Arbeitswelt verharmlosend. Sklave trifft es präzis, aber auch Zwangsarbeiter bringt die gleiche Assoziation über Lebensbedingungen und Ernährtungsverhältnisse hervor. Seegers besondere Stärke liegt darin, die großen politischen, juristischen, administrativen, miöitärischen  und aus späterer rückblickender Sicht historischen Planungen und Umsetzungen von Schicksalsschlägen vom Massenschicksal auf einen einzelnen individuellen persönlichen Schicksalsschlag zu beziehen. Beide Aspekt –das Große Ganze und das individuelle Schicksal – stellt Seeger auf seinen 107 Seiten in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander dar.

(Andreas Seeger, „Der Tod eines Zwangsarbeiters“, Donat-Verlag, Bremen 2017)

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