FEUILLETON-REZENSION: Europa ist die Lösung

Rezension „Europa ist die Lösung“

„Aussenminister Steinmeier aktualisiert Churchill“

Als Winston Churchill 1946 kein Amt hatte, nutze er die Zeit als Tourneeredner. In einer seiner Reden gelang ihm der Begriff „Eiserner Vorhang“; in einer anderen Rede sprach der britische Kriegspremierminister mit Zigarre und Victoryzeichen von den „Vereinigten Staaten von Europa“. Die Vorhang-Rede hielt Churchill am 5. März 1946 am Westminster College in Fulton im amerikanischen Bundesstaat Missouri. Churchill sagte nach den einleitenden Freundlichkeiten und Schmeicheleien an die Gastgeber seiner Einladung, er wolle „wahr und ehrlich“ („true and faithful“) seine ganz persönliche Einschätzung der politischen Weltlage im Frühjahr 1946 geben, dieser „angstvollen und verwirrenden Zeit“ („in these anxious and baffling times“. Churchill fasste zusammen: „Unsere oberste Aufgabe und Verpflichtung ist es, die Heime der einfachen Leute vor dem Schrecken und dem Elend eines weiteren Krieges zu beschützen.“ („Our supreme task and duty is to guard the houses of common people from the horror and miseries of another war“). Erst viel später taucht in dem Redetext die Passage vom Eisernen Vorhang auf, für welche Churchills Fulton-Rede berühmt wurde, weil sie auf diese Passage reduziert wird. Die USEu-Rede hielt er sechs Monate später am 19. September 1946 in Zürich. Auch diese Rede hielt er an einer akademischen Bildungseinrichtung. Die Universität Zürich hatte Churchill eingeladen, damit er in Zürich noch einmal so eine Rede wie in Fulton halten konnte. Churchill sprach: „Ich sage Ihnen jetzt etwas, das Sie erstaunen wird. Der erste Schritt zu einer Neuschöpfung der europäischen Völkerfamilie muss eine Partnerschaft zwischen Frankreich und Deutschland sein. Nur so kann Frankreich seine moralische und kulturelle Führerrolle in Europa wiedererlangen. Es gibt kein Wiederaufleben Europas ohne ein geistig großes Frankreich und ein geistig großes Deutschland. Wenn das Gefüge der Vereinigten Staaten von Europa gut und richtig gebaut wird, so wird die materielle Stärke eines einzelnen Staates weniger wichtig sein.“ Heißt also für die Gegenwart: Das Wohlsein Europas hängt davon ab, ob die Kultur den Vorrang der katastrophalen neoliberalen Verwerfungenn überwinden kann. Dies war auch der Grund dafür, dass der deutsche Aussenminister Frank Walter Steinmeier im ecowin-Verlag eine Broschüre veröffentlichte mit dem Titel „Europa ist die Lösung“. Die Stärke des Textes besteht darin, dass Steinmeier die Zeichen der Zeit für die Notwendigkeit einer ähnlichen verbalen Eindrücklichkeit wie Churchill 1946 erkannt hat. Die Schwäche des Textes besteht darin, dass er dem Anspruch inhaltlich nicht gerecht wird. Immerhin aber hat er es geschafft, durch eine einzige Äußerung genauso zitatwürdig geworden zu sein wie Churchill mit dem Eisernen Vorhang und der Forderung Lasst Europa entstehen. Der Satz von Steinmeier heißt: „Was wir jetzt nicht tun sollten, ist durch lautes Säbelrasseln und Kriegsgeheul die Lage weiter anzuheizen.“ Im Buch selbst bezieht sich Steinmeier auf das Analyseergebnis, wonach Europa in einer Krise steckt. Gut, dass er die einzelnen Aspekte aufzählt wie ein Lehrer, der die Richtigkeit der Aufzählung seiner Schüler bestätigt. Lehrer Steinmeier bestätigt dem Schüler Öffentlichkeit, dass er Rechtspopulismus, Sozialabbau, Migration, Abschottungsforderungen und Militärmanöver richtig wahrgenommen hat. Der Schüler Öffentlichkeit wird von Lehrer Steinmeier aber nicht gefragt, wie der Schüler sich die Lösung vorstelle. Lehrer Steinmeier will es dem Schüler sagen, damit er es weiß und nach den Worten von Lehrer Steinmeier handeln kann. „Die Lösung ist Europa.“ Der Schüler Öffentlichkeit kritzelt den Lehrerspruch in die Schulbank: „Steini kennt nur eine Lösung und das ist die Lösung. “ Wo Steinmeier konkret wird, könnte er irren: Denn der Frieden in Europa hängt ganz und gar nicht von militärischen Einsatzstrukturen ab. Europa müsste hingegen Friedensfähig statt Wehrtüchtig werden. Oder wie Churchill andeutete: Vom Primat der exzessiven Wirtschaft zum Primat der Kultur gelangen.

(Frank Walter Steinmeier, „Europa ist die Lösung“, ecowin, Salzburg 2016

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