FEUILLETON: Leitfaden zum Hemingway-Lesen

FEUILLETON

Baron von Feder

„Leitfaden zum Hemingway-Lesen“

Früher konnte ich Hemingway nicht lesen. Seine Erzählungen sprachen mich nicht an. Jetzt ahne ich, woran das liegen könnte: Ich kann Hemingway nur lesen, wenn ich mich Hemingway fühle. Das tue ich selten. Hemingway rührt Gefühle an, die ich abschütteln möchte, jetzt, seit ich sie kenne. Neulich saß ich im Lesesessel und fühlte mich hundserbärmlich hemingway. Aber ich war noch nicht so hemingway, dass ich nicht mehr lesen, schreiben und denken konnte. Als Hemingway in der Schule dran war, mochte ich ihn nicht lesen. „Alter Mann an der Brücke“ machte mich auf den Krieg in Spanien 1936 wütend, „Der alte Mann und das Meer“ machte mich wuschig, weil ich ungeduldig bin. „Schnee auf dem Kilimandscharo“ kam in der Schule nicht vor, und auch sonst vermittelte die Schule den Eindruck: Kennste einen Hemingway, kennste alle. Das ist aber falsch, und nach vielen Fehlschlägen hab ich gelernt, dass meine eigenen Eindrücke doch einen Wert haben. Wer weiß, wozu der lange Weg gut war. Der lange Weg der Fehlschläge hatte bestimmt auch wieder seinen ganz eigenen Wert.

Neulich hatte ich ein komisches Gefühl. Der Abend war etwas spät und kein Bier mehr im Haus, so dass nur noch Selters mit Zitrone da war. Es ist nicht schlimm, wenn man Selters mit Zitrone trinkt, nach dem man vorher Bier getrunken hat. Aber es hilft der Denkfähigkeit beim Auftauchen. Mein erster Gedanke nach Selter mit Zitrone war: Ich will etwas lesen. Mein zweiter Gedanke war: Was? Ich schaute ins Regal, ob da eventuell noch etwas Ungelesenes stand. Im Regal stand: Ernest Hemingway, „49 stories“, Aufbau-Verlag, Berlin und Weimar 1968. Also ran. Ich hatte vor Jahren mal ein Gedicht von Wiglaf Droste über Hemingway gelesen. Es ging so: „Löwenflinte griffbereit / und ein Herz, das blutend schreit / Einsamkeit, Einsamkeit./ Whisky trinken, tief versinken/ Ach ich schreib noch einen Schinken / Thema diesmal: Einsamkeit/.

An das Ende des Gereimes erinnere ich mich nicht, denn es endete mit einem Schuss. Wissen Sie, ich fühlte mich an diesem Abend schon ziemlich hemingway, verstehen Sie? Hemingway wirkt wie ein gemächlich steigender Pegel. Und man kann nicht über Dinge schreiben, die man nicht kennt. Ich habe zum Beispiel mehr Drama als Komödie erlebt, daher kann ich nicht wirklich richtig gut Komödien schreiben. Ich kann darüber schreiben, dass jeder Krieg Unrecht ist, weil ich entsprechende Vorbereitungen beim Militär erlebt habe. Ich kann über Armut und Sozialfaschismus schreiben, weil ich Hartz Vier kenne. Aber wenn ich über die Bewahrung der Schöpfung, die Liebe und die Unwirksammachung staatlicher juristischer politischer und finanzieller Repressalien schreiben will, muss ich wissen, wie man ohne Gewalt revoltiert.

Ich habe also viel zu tun und muss nun eilen. Denn Vorteil bringt dem Feinde alles Weilen.

PS: Und Hemingway konnte keine Liebesgeschichten schreiben, weil er ein Macho war.

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