Rezension Sokops Rache

 Helene Musfedder

Rezension „Sokops Rache“

Samstag, 03. November 2012

Mimis kleine Bettlektüre, Folge 2: Der Edmond Dantes von Wismar

Nächste Woche ist mein Alter weg. Dienstreise. Anrufe und SMS nur bei Notfällen. Ansonsten selbst klarkommen. Das vereinbaren wir immer so, und daran halten wir uns. Und das Schönste: Ich kann mich mit meinen Krimis im Bett verkriechen und lesen, lesen lesen. Hach, wird das schön, und wenn es mal knarzt oder die Heizung macht Geräusche – muss ich halt mit klarkommen. Das haben wir so vereinbart, darum wird es auch gut gehen. Für die erste Nacht seiner Abwesenheit hab ich mir was ganz Feines zum Lesen geholt: „Sokops Rache“, Hinstorff-Verlag, Reihe Ostseekrimi, Tatort Wismar. Der Krimi kommt zur Abwechslung ohne Polizei aus. Die wichtigsten Akteure sind ein Mann, der nach 15 Jahren unschuldiger Haft aus dem Gefängnis kommt und trotzdem Justizopfer bleibt, ein Bewährungshelfer, eine blonde Frau fürs Herz und alle anderen Personen sind Statisten. Also der Mann soll seinen Vater ermordet haben, hat er aber nicht, und das glaubt ihm kein Schwein, deshalb kam er ins Gefängnis. Nun will er wissen, wer ihm das angetan hat und will sich rächen. Daher Sokops Rache. Insoweit erinnert das Buch an den Grafen von Monte Christo. Da kam ein Herr namens Edmond Dantes aufgrund von Intrigen ins Verlies und durch Flucht wieder heraus, und plante dann ebenfalls einen Rachefeldzug. Der Edmond Dantes von Wismar ist zwar nicht so reich, geht aber viel intelligenter vor bei der generalstabsmäßigen Planung seiner Rache. Der Generalstab ist aber etwas aus der Übung, so dass der Plan bei der praktischen Durchführung ein paar Pannen erlebt. Des Krimis große Stärke ist die soziologische Präzision, mit der das Zusammenwirken von Staatswanwaltschaft, JVA, Bewährungshelfer und Sozialbehörden beschrieben wird. So präzis, dass man an Alfred Döblins Roman Berlin-Alexanderplatz denkt, wenn man das Buch kennt. Man könnte acuh sagen, die soziologische Präzision entspricht der Exaktheit der Gesellschaftsdarstellung in den DDR-Fernsehkrimis der Reihe „Polizeiruf 110“. Wenn ein Krimi traurige gesellschaftliche Realität darstellt, kann man als Leser davon lernen, weil ein solcher Krimi sozusagen eine reale gesellschaftliche Situation simuliert, die man gedanklich durchspielen kann, um für den Fall der Fälle gewappnet zu sein. Der Krimi als Manöverlage, quasi. Ausgedachte Situationen erschrecken nur. Denn es gibt keine Ordnung in der Kiste mit dem Handlungsrepertoire, und also nur chaotische Reaktionen. Solches ist regelmäßig der Fall bei ausgedachten Thrillern mit perversen Akteuren. Die Realität ist irgendwie schon kriminell genug.

Und noch etwas zeichnet diesen Krimi aus: Die ganze Handlung von der Haftentlassung über die die Racheplanung über die Wirkung der Resozialiserung am lebenden Menschen bis hin zum Grübeln und der Einsamkeit, der Angst und des amtsverursachten Unwohlseins ist aus einer psychosomatischen Sicht geschrieben: Herzrasen, Magenkrämpfe, Schweißausbrüche, Panikattacken, Halluzinationen sind präziser beschrieben als die rein formalen äußerlichen Umstände. Das ist nicht schön, nichts zum Stolz drauf sein, aber sehr, sehr lehrreich.

Birgit Lohmeyer, „Sokops Rache“, Hinstorff-Verlag, Rostock, 2012

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