Rezension: Kleine Brechtchronik

 Hannes Nagel

Rezension „Kleine Brechtchronik“

Freitag, 14. September 2012

Brechtige Zeiten

Die kleine Brechtchronik von Werner Hecht ist ein kleiner Geniestreich.Denn sie beschreibt das Leben von Eugen Berthold Friedrich Brecht in einer Form, die Brecht vermutlich als Grundlage eines Theaterstückes gut geheißen hätte. Der Brechtspezialist Werner Hecht schreibt einfach nur Datum und Jahreszahl auf und daneben, was Brecht so an diesem Tag gemacht hat. Zum Beispiel Notizen zu etwas, was ihn bewegt hat. Manchmal waren es Aussprüche, Formulierungen oder Entscheidungen, auf die Brecht dann gleich literarisch reagierte. Er tat nun dieses aber nicht aus dem Bauch heraus, sondern beschaffte sich unverzüglich Fachwissen aus Essays, Zeitungen und Lexika, um dann seinerseits über allerhand Behauptetes fundiert räsonieren zu können. Weil Hecht auch immer aufschreibt, welche Aufsätze, Reden und Ähnliches für Brecht so ein „Bewegungsmelder“ waren, die seinen Geist bewegten, kann man mit dieser Biographie ganz neuartige Leseerfahrungen machen. Ich hab es mal ausprobiert und aus dem Hecht-Text über Brecht heraus Walter Benjamins Text „Der Autor als Produzent“ gelesen. (Der Name Walter Benjamin war mir bereits bekannt, der Text nicht. Er hätte es früher schon sein sollen). Walter Benjamin hatte Philosophie. Germanistik und Kunstgeschichte studiert und war ebenfalls schriftstellerisch tätig. Der Text, den ich da las, ist vom 27. April 1934. Im Prinzip heißt es darin mehrfach, dass Schriftsteller und Journalisten die Medien mit Inhalten füllen, aber die Medien gehören ihnen gar nicht. Das müsste geändert werden, damit die produktive Kraft des Geistes auch wirken könne. (Der Text von Walter Benjamin ist insgesamt sehr stark marxistisch formuliert, wie hier in der Benutzung der Begriffe Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse) Und an dieser Stelle wurde mir plötzlich klar, warum die produktive Kraft des Bloggens nicht zu Einkommen führt und das daran etwas geändert werden muss. Bei Brecht kommt die Wirkung aus der unmittelbaren Reaktion der Literatur auf aktuelle Themen der Gesellschaft, und zwar in der Verbindung von Dramatik (Spannung und Aufmerksamkeit und Interesse) sowie Epik (ästhetische Erzählweise). Wer weiß, vielleicht kann die Auseinandersetzung mit Brechtstücken im Theater zu einem Aha-Effekt führen. Dann können vielleicht sogar Blogger ihr technisches Wissen um die Nutzung der Kulturtechniken „Internet“, „Blogsoftware“ und „Social Media“ für eine Verbesserung der eigenen sozialen Verhältnisse einsetzen. Es sind ja gerade mal wieder Zeiten voller Konflikte, von denen sich einige auch mit brechtigen Mitteln lösen lassen.

Übrigens: Brecht scheint auch wahsinnig gern gekalauert zu haben, und darum grient er auch wie ein Schalk, ein Filou, ein Spitzbube – Brecht zu lesen, scheint wieder mal zeitgemäß zu sein, weil sich auf das derzeitige Weltgeschehen automatisch Brechtzitate aufdrängen.

 Goethe auch. Siehe Götz von Berlichingen.

 Werner Hecht, „Kleine Brechtchronik“, Hofmann und Campe, Hamburg 2012

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