Apropos Asylbewerberleistungsgesetz

 Hannes Nagel

Apropos Asylbewerberleistungsgesetz

Freitag,20. Juli 2012

Seidenhemden und Lumpenfetzen“

 Große Medien haben andere Recherchemöglichkeiten als Kleine. Darum freuen sich die Kleinen über die Themenanstöße, die ihnen die Großen geben. Diesmal kam der Anstoß von N-TV. Der Sender berichtete im Juni über das Asylbewerberleistungsgesetz und am 17. Juli über den Beginn eines Gerichtsprozesses vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.

Stellen Sie sich mal vor, jemand sagt zu Ihnen: „Selbstverständlich haben Sie ein Recht darauf, dass Ihnen niemand einen Schaden zufügt, aber Sie müssen dieses Recht im Kontext mit dem Recht der Märkte auf Profit sehen. Da muss der Einzelne, und zwar jeder von uns, seine Interessen zurückstellen.“ Zu Recht würden Sie jeder Behörde, die Ihre Rechte zugunsten der Märkte schmälert, einen Vogel zeigen und insgeheim davon träumen, die Behörden mal kräftig am Öhrchen zu zupfen.

Das Bundesverfassungsgericht hat am 17. Juli verkündet, dass Asylbewerber fast soviel Unterstützung bekommen MÜSSEN wie Hartz-Vier-Opfer. „Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums“ nach Artikel 20 Grundgesetz, sagte das Gericht. Die Differenz des neuen Hartz-Vier-Regelsatzes zur Menschenwürde hatte Karlsruhe einvernehmlich mit dem Bundessozialgericht kurz zuvor für Null erklärt, obwohl es immer noch fragwürdig ist, wie Menschenwürde von Geld abhängig gemacht werden kann. Es hieß, das die Neubestimmung der Regelsätze „nicht in verfassungswidriger Weise“ zu niedrig angesetzt wurden. Also in verfassungskonformer Weise. Nach dem gleichen orakelhaften Schema scheint auch die Asylhilfe durch rechtssprachliche Neuformulierung gefasst zu sein. Zu offensichtlich stimmte die bisher übliche, bekannte und hingenommene Vorgehensweise nicht: Die Menschenwürde müsse „in einem europapolitischen und migrationspolitischen Kontext“ gesehen werden. Nach Angaben von N-TV sagte dies der Prozessvertreter der Bundesregierung. Das Gericht konterte: „Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren.“ Sie ist, wenn sie nicht relativiert werden darf, absolut. Behörden und Ämter haben also die Pflicht, sich den Arsch aufzureißen und die Hacken abzulaufen, nur um jedem einzelnen die Menschenwürde zu garantieren. Dazu braucht man einerseits eine sehr, sehr fein differenzierte Vorstellung, was Menschenwürde ist, und andererseits nur genau diejenige Form von Hilfe zu gewähren, die ein in Not geratener Mitmensch erbittet. Warum eigentlich müssen Rechte aus der Verfassung eigentlich erst eingeklagt werden, bevor sie gewährt werden? Oder war gemeint, sie darf zwar relativiert werden, aber eben nicht migrationspolitisch? Orakelhafte Formulierung. Im Interesse der Menschenwürde nehmen wir die Absolutheit an.

Aus der Absolutheitsschlußfolgerung der Karlsruher Entscheidung ergibt sich nämlich eine behördliche Pflicht zur aktiven Linderung von Unterdrückung, Ausbeutung, Mobbing, Willkür, Zinsabhängigkeit, Betrug, Arbeitslosigkeit, Isolation, Ausschluß aus der Gesellschaft und Fremdbestimmung der Lebensgestaltung. Und damit sind wir bei der schäbigen Praxis der Seidenhemden, die den Lumpenfetzen nicht einmal einen Flicken für die größten Löcher gönnen. Trotz Hartz Vier und Prekariat und Alledem spannen sich in Deutschland bildlich gesprochen immer noch Seidenhemden über Wohlstandsbäuchen, während vor den Toren Europas das nackte Elend lebt. Aber es lebt. Und es will menschenwürdig leben. Denn sonst stirbt es, ohne jemals die Chance auf eine Glücksmetamorphose gehabt zu haben.

Ein bisschen hungern lassen, damit die Asylbewerber gehen“, nannte das Gericht die bisherige Praxis der bewussten Schikane. Ich kann darin nicht einmal eine Art perverser Fürsorglichkeit des Staates für seine Nationalbürger erkennen. Solch eine Fürsorglichkeit wäre gegeben, wenn die Regierung sagt: „Das Boot ist voll, es reicht nicht mal für unsere Arbeitslosen“.  Aber die Nationalbürger werden den Nicht-Nationalbürgern, also den Asylanten, ja auch nicht wirklich bevorzugt gegenüber gestellt. Siehe Hartz Vier: Die Hartz Vier Opfer werden ja so behandelt, als wolle man sie aus dem Land vergraulen, während man Asylbewerbern die Einreise so unbequem wie möglich machen will. Dabei würde es für alle reichen, und es bliebe sogar noch etwas übrig. Bescheidenheit, Nächstenliebe und Zivilcourage wären dafür allerdings nötig.

Dieser Beitrag wurde unter Aproposia abgelegt und mit , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.