Rezension Gewalt. Eine neue Geschichte der Menschheit

 Hannes Nagel

Rezension „Gewalt. Eine neue Geschichte der Menschheit“

Montag, 16. Juli 2012

Frieden als permanente Kriegsgewöhnung“

 Deutschland will offenbar Rüstungsexporte vereinfachen, damit man nicht immer mühselig Skandale vertuschen muss, wenn ein Panzer in Krisengebiete exportiert wird. Oder andere Waffen. Die Kriegsrhetorik des Westens gegenüber Ländern wie Iran und Syrien rasselt lauter, im Innern nimmt der martialische Umgangston in der Gesellschaft zu, aber das alles scheint nur eine Wahrnehmungstäuschung zu sein. Denn Steven Pinker schreibt: „Die Gewalt ist über lange Zeiträume zurück gegangen, und dieses wird mir kein Leser glauben“

Ist ja auch schwierig. Und deswegen hat Steven Pinker sein Buch „Gewalt. Eine neue Geschichte der Menschheit“ im Vorwort noch mal in Kurzfassung aufgeschrieben. Die Kurzfassung hat 21 Seiten, die Langversion 2100. Das Buch erschien 2011 im Original unter dem Titel „The better Angels of Our Nature“ und in deutscher Übersetzung im gleichen Jahr im Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main. „Von Kriegsführung bis zur Züchtigung von Kindern“ soll die Gewalt von Jahr zu Jahr immer weniger geworden sein. Ist das wirklich wahr? Oder ist die Gewalt bloß subtiler geworden? Wird also statt grober physischer Gewalt auf allen Gebieten nur die verschleierte Form psychologischer Gewalt angewendet, wie Andeutung von Strafen, finanzielles Gefügigmachen, Jobangst und Mobbing in Arbeitswelten? „Zunächst muss ich Sie davon überzeugen, dass die Gewalt im Laufe der Jahre tatsächlich abgenommen hat“, schreibt Pinker. Eigentlich MUSS er das nicht. Ich bin neugierig, seine Argumente zu erfahren, um sie mit meinen zu vergleichen, die zu einer anderen Schlussfolgerung gelange: Nämlich Gewaltverschärfung und Zunahme der Kriegsgefahr. Die Annahme, Meinungen müssten sich solange bekämpfen, bis einer den anderen überzeugt hat, halte ich schlicht selbst schon für eine Form von geistiger Gewalt, die mir nicht behagt. Überzeugungsarbeit ist meiner Ansicht nach nicht nötig für einen friedlichen Meinungsaustausch. „Angesichts solcher Voreingenommenheiten muss ich Überzeugungsarbeit mit Zahlen leisten, die ich aus Datensammlungen entnehme und grafisch darstelle.“ Bitte, wenn Du meinst? Bin gespannt. Aber vor die Zahlen hat der Autor die Thesen gesetzt. Aus seiner Sicht sprechen 6 Trends, 5 Dämonen, welche Mechanismen sind und 4 Engel für die Stichhaltigkeit seiner Ausführungen. Die 6 Trends sind folgende: 1. Aus den anarchischen Verbänden von Jägern und Sammlern sind Städte und Regierungen geworden, 2. vom Spätmittelalter bis zum 20 Jahrhundert fand dann der Prozess der Zivilisation statt, den hat schon Norbert Elias beschrieben, und zwar auf eine sehr gute Weise, so dass mir die friedlichmachende Wertuzng nach Pinker nicht ganz einleuchtet. Der Prozess der Ziviliation hat demnach einen Rückgang der Mordquote um das fünfzigfache der Mordquote bei Jägern und Sammlern hevorgebracht. Es lohnt sich zu fragen, ob die Jahre 1914-1918 und 1939–1945 in dieser Rechnung mit enthalten sind. 3. Dann kam noch die Aufklärung dazu, die Pinker in Anlehnung an nicht genannte andere Autoren „Humanitäre Revolution“ nennt. Die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg nennt Pinker 4. als „diesen gesegneten Zustand des Langen Friedens“. 5. kam dann nach 1989 der Neue Frieden und 6. nahm der Widerwille gegen Aggressionen im kleinen Maßstab ab.

Dann kommen die fünf dämonischen Mechanismen Raub und Ausbeutung mit Gewalt, Herrschaftsstreben, Rache, Sadismus und Ideologie dran. Wenn es die nicht gäbe, wäre alles friedlich und wohlig, aber die Dämonen stören ja immer den idyllischen Frieden. Zum Glück gibt’s dann noch die 4 Engel: Empathie, Selbstbeherrschung, Moralgefühl und Vernunft. Und außerdem haben sich die Gene der Menschen zur Friedlichkeit verändert. Der Ruf „Keine Gewalt“ hat sozusagen das Erbgut veredelt. Vielleicht haben aber auch Goethe und Schiller mit humanistischen Idealen schon Vorarbeit geleistet – weiß mans?

Danach kommt Pinker vom Esoterik-Tripp wieder runter und findet noch fünf historische Kräfte für den Frieden:

Wirtschaftliche Zusammenarbeit, Feminisierung, Massenmedien und Weltbildungsbürgertum, Förderung der Vernunft und der starke Staat.

Apropos Förderung der Vernunft: Wär das nicht mal etwas für die Staatenlenker?

 

 

 

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